Olivia Trummer „Like Water“
Seit einigen Jahren wuchs in Olivia Trummer der Wunsch heran, ihre künstlerische Entwicklung in einer der intimsten Möglichkeiten künstlerischer Äußerung festzuhalten: In einem Soloalbum. Während sie sich im Frühling 2024 auf ein wichtiges Konzert mit Orchester vorbereitete, wurde sie von Russ Titelman kontaktiert. Er habe ein Video von ihr auf YouTube gesehen, meinte der Produzent, der in seinem langen Leben schon mit Steve Winwood, George Harrison, Eric Clapton oder Rickie Lee Jones gearbeitet hat. Er sei beeindruckt davon, was sie mache, schieb er weiter, und ob man sich mal unterhalten könne. Es kam zu einem Videocall, die Chemie stimmte augenblicklich. Der berühmte Produzent stellte sich als begeisterter Musikliebhaber heraus, der stiloffen nach allen Seiten interessiert für das brennt, was er macht. Bald darauf wurden Musikdateien hin und her geschickt und in Olivia Trummer reifte der Gedanke, ihr Soloprojekt gemeinsam mit dem legendären Produzenten anzugehen.
„Letztlich habe ich ein Ticket nach New York gebucht. Der Tag nach meiner Ankunft war Russ Titelmans 80.Geburtstag. Er lud mich in die Runde seiner engen Freunde zum Abendessen ein und alle kannten mich bereits und meine Musik. Am Tisch saßen lauter inspirierende Leute, es war ein wundervoller Einstieg. Die folgende Woche hat mir dann gezeigt, was es bedeutet, einen Produzenten zu haben. Ich hatte ja bislang nie mit einem zusammengearbeitet.“ Über Tage hinweg hörten sie gemeinsam Musik, wählten Stücke aus und feilten an Feinheiten wie Tempo und Phrasierung. Es waren kleine Änderungen und Hinweise, die einen großen Unterschied machten.
Nach dieser produktiven Woche war klar, dass Olivia gemeinsam mit Russ Titelman in einem Studio in New York aufnehmen wollte. Einen Monat später war es so weit. Die Stimmung der Stadt, die Präsenz ihres neuen Mentors und die verinnerlichte Feinarbeit fügten sich im GB’s Juke Joint am Steinway D zu insgesamt 19 Stücken zusammen, darunter auch Standards wie „I’m Glad There Is You“, „I’m Old Fashioned“ oder „My Baby Just Cares For Me“. „Ich mag die Tradition dieser Songs. Sie wurden nicht zufällig schon oft aufgenommen, sondern weil sie über die Generationen hinweg Resonanz finden. Sie tragen eine Wahrheit in sich, die aktuell bleibt. Ich liebe gute Melodien, schöne Harmonien und die kompakte, klare Form, von der man sich auch wirkungsvoll wegbewegen und die Musik in ein neues Licht tauchen kann“. Während der Aufnahme des Songs „Somewhere“ aus der West Side Story von Leonard Bernstein kam es zu einer besonderen Begegnung: Jamie Bernstein, die Tochter des berühmten Komponisten kam höchstpersönlich im Studio vorbei, um der Einspielung des Stücks Patin zu stehen. Olivia erinnert sich: „Meine Stimme fühlte sich nach zwei intensiven Studiotagen etwas müde an. Mit den ersten Takes von „Somewhere“ war ich daher nicht zufrieden. Jamie meinte daraufhin, sie mochte die Takes, denn in dem Song ginge es schließlich um Erschöpfung – darum, sich mit aller verbleibenden Hoffnung nach einer besseren Welt auszustrecken. Das hat mich inspiriert. Ich entschied, noch einen letzten Take aufzunehmen. Als ich danach wieder in den Mischraum kam, hatten alle Tränen in den Augen. Ich wusste: Das war der Take.“
Einige der Stücke nehmen Bezug auf Werke der klassischen Klavierliteratur: „Es war mir wichtig, auf dem Album auch die Klassik miteinzubeziehen, da sie ein wichtiger Teil meiner musikalischen DNA ist“. So geht die Mondschein-Sonate fließend in den Song ‚Watching The Moon‘ über, „I’m old-fashioned“ wird von einem Bach-Präludium eingerahmt, was die Aussage des Songs in gewisser Weise unterstreicht. Die Melodie des Spirituals ‚Swing low‘ schwebt über den Harmonien aus Beethovens Sonate op.109, welche Olivia während ihres Klavierstudiums spielen und lieben lernte. Ihre Arrangements von „You are the sunshine of my life“ (Stevie Wonder) und „Get here“ (Brenda Russell) verwandeln bekannt geglaubte Popsongs in etwas Neues, Überraschendes. Darüberhinaus singt sie zum ersten Mal auch auf Italienisch: Das während der Pandemie vom neapolitanischen Cantautore Joe Barbieri geschriebene „Tu, io e domani“ diente als musikalische Brücke in ihre damalige Wahlheimat Italien und hat seitdem einen festen Platz in ihrem Solorepertoire gefunden. Aus den Eigenkompositionen spricht ein gewachsenes Bewusstsein um die Vergänglichkeit: Das deutschsprachige „Wie die Zeit vergeht“ knüpft daran an und ermutigt, den Fluss der Zeit nicht als Bedrohung sondern als alles verbindende, ewige Strömung wahrzunehmen. „Strange day“ spielt mit dem Gedanken einer Welt, in der es kein Morgen gibt. „Was einerseits apokalyptisch klingt, soll andererseits eine Einladung sein, im Heute anzukommen und sich auf das zu besinnen, was wirklich Wert hat.“ Schließlich ist mit ‚Like Water‘ noch ein überaus persönliches und hingebungsvolles Lied auf dem Album gelandet, das Olivia Trummer in den Wochen vor ihrer Hochzeit komponierte. Melodisch und harmonisch komplex, wurde das Stück letztlich sogar zum Titelgeber, denn der Name schien die Idee des Soloalbums perfekt zu beschreiben: Mit größtmöglicher Transparenz ein hochauflösendes, authentisches Portrait einer Künstlerin zu zeichnen, deren Musik stets im Fluss bleibt.
„Like Water“, Olivia Trummers elftes Album, ist ein Querschnitt durch ihre Kompetenzen als Pianistin, fein nuancierend, klassisch fundiert, aber ebenso kräftig und melodieprägnant in Gestaltung und Improvisation. Es legt den Fokus auf die Kombination von Klavier und Gesang, auf die poetisch klare Stimme, leuchtend im Timbre und umarmend im Umgang mit den Worten. Und es präsentiert Olivia Trummer als Komponistin, die sich selbstbewusst und bestärkt durch den versierten Produzenten Russ Titelman auf Augenhöhe mit den Standards der Tradition bewegt. Das Album ist damit auf seine Weise ein neuer Anfang und zugleich eine Fortsetzung: Fließend „Like Water“ und beständig in der Kraft, die Energie der Musik in der kleinen Form des persönlichen Lieds zu bündeln.
Olivia Trummer „Like Water“
Warner Music