Ulrich Zehfuß „Erntezeit“

Wenn Ulrich Zehfuß sich an seine Kindheit auf dem elterlichen Hof erinnert, entstehen fast schon archaische Gemälde vor dem inneren Auge. Spargelstechen im Morgengrauen vor der Schule. Spätabends dann noch mit dem Traktor das Getreide zur Mühle fahren. „Das war knallharte körperliche Arbeit“, blickt der Songwriter aus Speyer zurück, „die aber gleichzeitig etwas unglaublich Existentielles hatte, allein durch die Kälte- und Hitzeerfahrungen. Man ist ganz nah an den Jahreszeiten dran.“ All diese Bilder und Erfahrungen kehren nun zurück: „ein unglaublicher Schatz an Welthaltigkeit, der in meine Lieder fließen kann.“ Und Zehfuß hebt ihn in seinem zweiten Soloalbum „Erntezeit“, bringt das Untergepflügte wieder ans Licht, fängt Momente der Klarheit über das Leben ein, legt die unzerreißbaren Verbindungen zwischen Ursachen und Folgen in allen Aspekten der menschlichen Existenz offen. Ein intensives Album, auf dem er sich mit seiner Band und Produzent Mathias Kiefer einen eigenen Weg über die Genregrenzen zwischen Pop, Rock und Songwriting bahnt.

Das Album ist trotz der Naturmetaphern kein folkloristisches, wohl aber naturnahes Werk, das sein Thema ernst nimmt und natürlicherweise auf ein Ergebnis hinweist: eine Ernte in 14 Liedern, die das Scheitern in „Ausgebranntes Haus“ genauso einbeziehen wie den Gewinn der Geborgenheit, den man „Über Nacht bei Freunden“ spüren kann. Erntezeit kann eben auch Mißernte bedeuten, wenn man das erntet worum man sich nicht gekümmert hat. „In jedem Fall ist sie ein Zeitpunkt. Es ist jetzt – jetzt erntest du was du gesät hast. Ein Moment der Erkenntnis. Auch darum geht es mir“, sagt Zehfuß, „die Dinge zu erkennen, zu benennen und in eine Form zu bringen, die man teilen kann.“

Das Teilen der Lieder seines Albums hatte Zehfuß dieses Mal ganz wortwörtlich genommen, und die einzelnen Songs vorab als eine Art digitalen Adventskalender im monatlichen Rhythmus veröffentlicht, jedem Lied dadurch eine eigene kleine Bühne gegeben. Er wollte seine Musik gezielt den neuen Hörgewohnheiten aussetzen, die sich in den letzten Jahren durch Streaming ergeben haben. Eine Möglichkeit, Lieder und Album auch getrennt voneinander betrachten zu können. Allerdings hatte er die Veröffentlichungsart nicht schon beim Komponieren im Sinn gehabt. Im Album an sich zeige sich eben auch die künstlerische Gestaltung, der organische Bogen zwischen ruhigen und bewegten, zwischen opulent arrangierten und reduzierten Stücken. Wie setzt man das Thema, die Stimmung? Welcher Titel eröffnet, und wie entlässt man den Hörer? „Auch in diesem Sinne interessiert mich, woher die Dinge kommen, wohin sie gehen. Was ist wichtig und was nicht. Mit welchen Gedanken und Liedern gestaltet man sich sein Leben aus. Denn am Ende sind sie sind wie Gegenstände oder Wesen im Raum, die uns begleiten.“

Ulrich Zehfuß „Erntezeit“
Sevenarts-Music