Christoph Pepe Auer "White Noise"
Wie weit lassen sich Klangfarben und Sounds bestimmter Instrumente transzendieren? Erweiterte Spieltechniken sind in der Neuen Musik längst üblich, im Jazz hingegen vergleichsweise noch weniger verbreitet. Christoph Pepe Auer, in Wien ansässiger Klarinettist und Saxophonist u.a. bei der Jazzbigband Graz (JBBG), begann vor rund einem Dutzend Jahren mit seiner persönlichen Klangforschung. Sie führte ihn Richtung Abstraktion, vor allem aber hin zu einer individuellen Kombination aus rhythmischen Patterns und Grooves, zu minimalistischen Strukturen und einer innovativen, elektro-akustischen Ästhetik. Für sein charakteristisches Spiel erhielt Auer einige Auszeichnungen, darunter dreimal den österreichischen Hans Koller-Musikpreis, und viel internationales Presse-Lob.
Auers Sinn fürs Ausprobieren bei seinem Debut „Songs I Like“ folgte eine ausgedehnte Tour, während der sich die jetzige Formation des Quartetts, bestehend aus ihm, Cello, Klavier und Schlagzeug etablierte. Das funktionierte hervorragend und so lag es auf der Hand, dass die nun vorliegende, zweite Veröffentlichung live eingespielt wurde. Auf White Noise geben sich Komponist, Arrangeur und Namensgeber Auer, Cellist Clemens Sainitzer, Pianist Mike Tiefenbacher und Schlagzeuger Gregor Hilbe als Klangmaler: „White Noise, also Weißes Rauschen, ist ein akustisches oder optisches Signal mit gleicher Intensität an verschiedenen Frequenzen, die eine konstant spektrale Leistungsdichte ergeben. Weiß ist eine ausgewogene Summe von Farben und als Struktur vollständig. Wird eine der Farboptionen hervorgehoben, entstehen Stimmungen wie beispielsweise in der Golden Hour. Das ist die Stunde, bevor die Sonne am Horizont untergeht. Rot wird präsenter und schafft eine spezifische Farbgebung und Atmosphäre.
Man findet akustisch spektrale Klanglandschaften in der Natur. Beispielsweise bei Wind und Regen, an Wasserfällen, am Meer oder in galaktischen Klängen. In der Musik ist das Phänomen ständig präsent, aber macht sich selten bemerkbar. Durch elektronisch erzeugte Signale wird der White Noise Effekt stärker, und durch deren Verwendung kann man Wege finden, diese hauptsächlich unbewusste Schicht von Geräuschen wahrnehmbarer zu machen.
Die psychologische Wirkung von Weißem Rauschen auf das menschliche Gehirn ist eine Beruhigung und eine Aktivierung des Geistes gleichzeitig. Dieses Phänomen, das scheinbar Gegensätze gleichzeitig bedient, wird daher in Schlaf- und Lernforschung durchleuchtet und verwendet. Es dient als Vehikel um in einen tieferen, fokussierteren Geisteszustand zu gelangen. Zuletzt kommuniziert diese Ebene stark mit dem emotionalen Teil des Gehirns.
„ All diese Beschreibungen sind Bestrebungen, die ich auch mit meiner Musik erreichen will.“
White Noise ist geprägt vom facettenreichen Zusammenspiel akustischer Instrumente und elektronischer Vignetten. Im Mittelpunkt steht die Bassklarinette mit ihrem erdigen, weichen Ton und ihren unzähligen Möglichkeiten der Klangerzeugung. Um sie herum komponierte Auer Stücke, die sich nicht nur in ihren Arrangements zuweilen markant voneinander unterscheiden.
Der Aufmacher Golden Hour schleicht sich langsam an, das Arpeggio des Synthesizers erinnert an Filmmusik. Ein versetzter Groove und eine eingängige Melodie übernehmen die Führung, das nächste Break folgt wenig später. Im letzten Drittel driftet das Stück mit komplexen instrumentalen Dialogen, kreiselnden Phrasen und einem agilen Bassklarinetten-Solo deutlicher Richtung Jazz. Big Five tendiert atmosphärisch in eine ähnliche Richtung, nur dass hier ein Flügel die Arpeggien spielt. Das Schlagzeug lockt mit fröhlich synkopiertem Puls, darüber unternimmt die Klarinette virtuose Exkursionen. Finally lockt mit einem tanzflächentauglichen Beat und warm timbrierten, schwerelosen Tenorsaxophon; dazwischen wirft das Cello flirrende oder beinahe Stakkato-artige Phrasen ein, wenig später trifft es sich mit dem Saxophon zu gemeinsamen melodischen Linien.
Filmisch wird es dann wieder bei Die Kontrabassklarinette. Ihre abgründigen, markant-schnarrenden Töne werden vom kammermusikalischen Cello – gestrichen oder gezupft – in höheren Registern kontrastiert; für Auftrieb sorgt ein ansteckender Schlagzeug-Groove, der in Breaks verwirbelt. White Voice beginnt als reduzierter Song im Ambient- oder Lounge-Stil, doch der erste Eindruck trügt. Zwar hält das Stück seine entspannte Stimmung eine ganze Weile durch, schließlich dringen aber Klavier und Schlagzeug ein, befeuern das Tempo und verlagern das Geschehen in einen Jazzclub.
Insgesamt liegt die Komplexität der Musik vor allem in ihren rhythmischen und klanglichen Variationen. Einige Leute empfänden sie schon als Pop, sagt Auer, tatsächlich geht vor allem die rhythmische Ebene weit über den üblichen Pophorizont hinaus. Bei manchen Titeln bilden Schlagzeug und selbst eingespielte, zu groovenden Mustern angeordnete Samples ein präzises Geflecht, prägnant zu hören etwa in The Sequence Part I & II. In eine ganz andere Richtung tendiert Remembrance, das sich an Musik des 14. Jahrhunderts anlehnt und von einer leicht sakralen Aura durchweht scheint. In jüngerer Zeit entwickelte Auer auch einen engen Bezug zu analogen Synthesizern, inspiriert von der britischen Singer/Songwriter- und Electro-Szene.
Sein Saxophon lässt Auer so weich und schwebend wie eine japanische Shakuhachi-Flöte klingen, auf der Bassklarinette findet er zu Linien, Riffs und Slaps im Stil eines E-Basses. Perkussive Geräusche komplettieren seine imaginäre Einmann-Rhythmusgruppe. Auers jüngstes Klangwerkzeug ist eine Kontrabass-Klarinette. „Sie reicht noch tiefer als ein Kontrabass und kann wie sonst nur eine Orgel ohne Verstärker den Fußboden vibrieren lassen“, grinst Auer. „Ich habe sie von einem Instrumentensammler in den USA bekommen, allerdings musste sie fast zwei Jahre restauriert werden, um sie spielbar zu machen.“
Tracks
1 White Noise Intro
2 Golden Hour
3 Big Five
4 Finally
5 Kontrabassklarinette
6 White Voice
7 Remembrance
8 The Sequence Part I
9 The Sequence Part II
10 White Noise
11 The Prophet
Christoph Pepe Auer „White Noise“
O-Tone Music