Jacob Karlzon "Open waters"
Die Fingerspitzen legen sich sanft auf die Tasten. Vorsichtig sind die ersten Anschläge. Respektvoll, ob der Emotionen, die dieses Pianospiel auszulösen vermag. Langsam schält sich eine Melodie heraus. Ein sanfter Wellenschlag. Die Drums knistern leise im Hintergrund, als liefe man über einen Strand, der Küste entgegen hin zu „Open Waters“, deren Namen dieses Lied von Jacob Karlzon trägt. Es ist schwer, diesem Sog zu widerstehen, der einen mit jedem Tastenschlag näher ans Meer zieht. Ein Meer, das man nun zu sehen, zu riechen, zu hören, glaubt. Ein Meer, das einen plötzlich packt und ins Wasser zieht, tiefer hinein, bis man nichts mehr sieht als „Open Waters“, kein Land in der Ferne, auf das man zuschwimmen könnte. Ausgeliefert einer Urgewalt, die faszinierend und gefährlich zu gleich sein kann.
Dem schwedischen Jazzpianisten und Komponisten Jacob Karlzon gefallen Interpretationen wie diese. Er liefere Musik für den Film im eigenen Kopfkino, sagte er mal in einem Interview. Und mit Blick auf sein neuestes Album, das im Januar dieses Jahres entstand, meint er: „Es freut mich, wenn die Menschen den Titel und die Wirkung meiner Musik so interpretieren. Ich will sie tatsächlich emotional aufs offene Meer ziehen, in diese Situation bringen, in der man sich entscheiden muss, in welche Richtung man schwimmen will.“ Ähnlich sei auch das Album entstanden: Ein intuitives Musizieren, dem jedoch ein langer Gedankenprozess vorangegangen sein. Mit Morten Ramsbøl am Bass, Rasmus Kihlberg an den Drums und seinem langjährigen Produzenten Lars Nilsson hat Karlzon wieder im Nilento Studio in Göteborg aufgenommen – und die Dinge manchmal einfach passieren lassen. „Note To Self“ verkörpere diese Arbeitsweise sehr treffend, erklärt Karlzon.
Der Song sei genau das: Eine Notiz, in zwanzig Minuten geschrieben, ein Blick ins eigene Unterbewusstsein, auf die Melodie, die gerade jetzt in diesem Moment am Steinway seine Gedanken und Gefühle antreibt. „Und am Ende fragte ich mich: Wo kam das denn her?“, schwärmt Karlzon. Jeder und jede, die oder der kreativ arbeitet, weiß um solche Momente und deren Suchtfaktor. „Aber da wollte ich hin“, erklärt Karlzon. „Wenn du über Jahre professionell Musik machst, denkst du manchmal eher technisch und vergisst vielleicht auch mal eine Weile, wie sehr dich diese Momente kicken können, die sich anfühlen, als würde irgendetwas Höheres oder etwas Unterbewusstes durch dich hindurch spielen, eine ‚Note To Self‘, die du aber nicht allein entschlüsseln musst, sondern mit den Menschen, die dir zuhören, oder mit dir diese Musik spielen.“ Eine „verrückte Energie“ sei das, schwärmt Karlzon und man muss ihm beipflichten, wenn man sich vollends in seinen „Open Waters“ versenkt: Denn diese neun Lieder, die er hier versammelt hat, tragen diese Energie noch immer in sich, auch wenn sie nachbearbeitet, produziert, gepresst oder digitalisiert wurden.
Jacob Karlzon ist ein stilistisch und musikalisch weit gereister Mann. Er hat klassische Klavierstücke gespielt, hat mit großen Namen des Jazz wie Peter Asplund, Kenny Wheeler, Billy Cobham, Bob Berg, Jeff Ballard, Norma Winstone und Tim Hagans die Bühnen geteilt, hat sich für das Album „More“ aus dem Jahr 2012 auch mal mit seiner Metal-Sozialisation befasst, hat auf seinem letzten Album „Now“ elektronische Elemente den Puls seiner Musik setzen lassen. Kein Wunder, dass er sich lieber als einen „alternativen Musiker“ bezeichnet und nicht als reinen Jazzer, was immer das auch sein mag. „Look What You Made Me Do“ vom neuem Album klingt wie die musikalische Entsprechung dieser Entwicklung: Beginnt mit einem wuchtigen Schlag auf die Drums, bevor das Klavier räudig schönen atmosphärischen Jazz anklingen lässt und nach und nach, Seite an Seite mit dem Bass den Song immer weiter ins Unberechenbare zieht. In den letzten Minuten wird man mit einer Wucht hin- und hergeworfen, die man sonst eher in anderen Musikrichtungen findet.
Karlzon liebt diesen Überraschungsmoment, egal ob er beim Hören des kompletten Albums passiert, oder bei einem Konzert von ihm, oder aber bei einem Song, der sich auf verschlungenen Pfaden in eine Playlist gewurmt hat: „Das Beste, was dir als Künstler passieren kann, ist es, für Leute zu spielen, die deine Musik bisher noch nicht kannten, die aber bereit sind, sich darauf einzulassen.“
Um wirklich zu fühlen, was Jakob Karlzon uns mit seiner Musik sagen will, genügt es, ein Lied wie die genannten – oder „How It Ends“ oder „Ever Changing“ oder „Panorama“ – oder, weil es so schön passt, „Motion Picture“ anzustellen und Jakob Karlzon den Score zum eigenen Kopfkino zu überlassen. Was dabei rauskommt, trifft die Essenz von „Open Waters“ besser, als es dieser Text jemals könnte.
Tracks
1 Open Waters
2 Secret Rooms
3 Motion Picture
4 Slave to Grace
5 Ever Changing
6 Look What You Made Me Do
7 How It Ends
8 Panorama
9 Note To Self
Jacob Karlzon „Open waters“
Warner Music