Pristine „The Lines We Cross“
Classic Rock, Vintage Rock oder Retro-Rock. Wie auch immer man diese bluesige, gelegentlich psychedelische, von den großen Acts der späten Sixties und Seventies inspirierte Variante des Hardrocks nennen will: Die besten Vertreter des Sujets kommen seit jeher aus dem Norden Europas. Je weiter nördlich ihr Ursprung, desto besser sind sie – so scheint es. Und viel nördlicher als Tromsø, die über 300 Kilometer jenseits des Polarkreises gelegene Heimatstadt der Norweger Pristine, geht es kaum …
Pristine sind eine der begeisterndsten und überzeugendsten Live-Bands des Genres. Die Gruppe hat bereits Hunderte von Konzerten absolviert – von intimen Club-Shows bis hin zu Slots im Rahmen der großen Festivals auf unserem Kontinent. „Wir leben für unsere Auftritte. Nur da oben fühle ich mich wie die bestmögliche Version von mir selbst“, gesteht Heidi Solheim, Gründerin, Sängerin und Hauptsongschreiberin der Gruppe. Wer Pristine bis jetzt nicht live erlebt hat, sollte dies dringend nachholen.
Und genau diese Situation, die Rückkehr auf die Bühnen der Welt, können Heidi und ihre Kollegen kaum noch erwarten. Ihren Anhängern wird es garantiert ähnlich gehen. „Das war eine sehr harte Zeit für uns“, sagt die Frontlady über den coronabedingten, plötzlichen Wegbruch sämtlicher Live-Aktivitäten im Frühjahr 2020. „Nachdem wir im Januar eine kurze Tournee in Spanien gespielt hatten, bereiteten wir uns auf die Open-Air-Saison vor. Doch dann war plötzlich alles aus. Ein echter Schock für die Jungs und mich“, erklärt die passionierte Performerin, die neben Pristine zudem sehr erfolgreich Kindermusik macht. Drei teilweise preisgekrönte Alben hat sie schon veröffentlicht und ist mit diesem Projekt ebenfalls fleißig live unterwegs – hauptsächlich in großen Schulen, aber auch in regulären Konzerthallen.
Heidi freut sich darauf, nun mit dem neuen Pristine-Album „The Lines We Cross“ endlich im Frühjahr 23 wieder auf Tournee gehen zu können. „Wir hatten im letzten Jahr eine Handvoll kleinerer Shows in Norwegen gespielt, als dies für kurze Zeit wieder möglich war. Die Regierung hatte alle Restriktionen aufgehoben, bevor dann die Omikron-Welle kam und alles erneut vorbei war. Diese viel zu wenigen Abende waren wundervoll für uns, aber offenbar ebenso für die Fans. Man merkte förmlich, wie ausgehungert beide Seiten nach Live-Musik waren. Es fühlte sich fast so an wie damals, als wir die Band starteten und unsere ersten Konzerte gaben.“
Damals war 2006: Heidi besuchte das Musikkonservatorium in Tromsø, wo sie Gesang studierte, als sie die erste Inkarnation von Pristine aus der Taufe hob. Nach einigen Jahren der Sound- und Mitglieder-Findung sowie zwei exklusiv in Norwegen veröffentlichten Alben startete die Band 2016 mit REBOOT international durch. Es folgten ausführliche Europa-Konzertreisen mit stilistisch ähnlich gesinnten Acts wie The Brew und Blues Pills. Bereits im Jahr darauf legten Pristine mit NINJA nach und 2019 konnten die Skandinavier dank ROAD BACK TO RUIN erstmals die deutschen Album-Charts knacken.
„Den größten Unterschied machte sicher Ariel Joshua Sivertsen aus“, sagt Solheim. Bisher hatten wir immer Produzenten, die zunächst alles einfach aufgenommen haben und dann erst das Album als Ganzes klanglich bearbeiteten. Ariel ist der erste, der jeden Song für sich produziert hat, während wir ihn im Studio spielten – fast wie der Mann am Mischpult bei unseren Konzerten. Die Nummern kommen dadurch nicht nur deutlich intensiver rüber, sondern haben auch alle ihre eigene Identität. Man hört und fühlt natürlich, dass sie am gleichen Tag, am gleichen Ort eingespielt wurden; trotzdem hat jedes Stück einen leicht anderen Sound, einen anderen Vibe. Das gibt dem Longplayer einen Anstrich von Unberechenbarkeit. Ich finde das großartig.“
Ansonsten lief indes – trotz globaler COVID19-Pandemie – alles so wie immer, als die Band sich entschloss, ihr neuestes Werk zu kreieren. Das begann schon mit der Songwriting-Phase: „Ich ziehe mich jedes Jahr im Frühherbst für eine Weile in die Waldhütte meiner Familie zurück, um Ideen zu sammeln. Da bin ich dann in der Mitte von Nirgendwo und kann ganz in Ruhe arbeiten oder auch einfach mal komplett abschalten“, berichtet die Künstlerin. Dieses Mal kamen offenbar sehr viele, sehr gute Ideen während dieser freiwilligen Selbstisolation zustande.
„Die ersten Entwürfe sind immer sehr rudimentär“, lacht Heidi. „Ich kann nicht wirklich gut Gitarre spielen. Vieles mache ich deshalb mit der Stimme. Etwa, um Melodien festzuhalten oder Akkordwechsel anzudeuten. Dazu nutze ich dann die GarageBand-App auf meinem Laptop für Rhythmus-Loops etc. Wenn ich genügend solcher Ideen beisammen habe, gebe ich sie an unseren Gitarristen Espen Elverum Jakobsen weiter und wir machen gemeinsam richtige Songs daraus. Espen ist ein brillanter Instrumentalist, kann aber ebenso hervorragend komponieren. Er und ich kennen uns nach all den Jahren, den Album-Produktionen, den vielen gemeinsamen Shows so gut, dass er genau weiß, was mir vorschwebt. Da muss ich gar nicht mehr viel dazu sagen. Wir beide sind mittlerweile ein sehr gut eingespieltes Team.“
Zurück in Tromsø ging es unter der Aufsicht von Sivertsen daran, die Stücke für „The Lines We Cross“ im Studio bestmöglich umzusetzen. Wie üblich für Pristine spielte man dabei die Basic-Tracks direkt mit allen Musikern plus Heidi am Mikro gemeinsam in einem Raum ein. „Ich weiß, das Gros unserer Kollegen geht da ganz anders vor und nimmt seine Instrumente sowie den Gesang jeweils einzeln auf“, erklärt Heidi. „Aber wir sind eben eine Live-Band durch und durch. Das kann und soll man auch auf unseren Platten hören.“
Natürlich gab es nachträglich noch ein paar zusätzliche Aufnahmen wie etwa Gitarrensoli, Backing-Vocals oder die Parts der Arktisk Filharmoni (The Arctic Philharmonic), einem 24-köpfigen Orchester, das Pristine bei dem eposähnlichen Track „Carnival“ unterstützte. Stücken wie dem erdigen, druckvollen „Devil You Know“, dem atmosphärischen, mit Psychedelic-Elementen spielenden „Valencia“ oder der treibenden Hymne „Stepping Into The Breach“ hört man die Bühnen-Affinität der Band tatsächlich sofort an. All diese Nummern klingen schon in den Studioversionen wie für die Live-Präsentation geschaffen.
Tracks
1 Actions, Deeds & Suffering
2 Ghost With A Gun
3 The Loneliest Fortune (Pt. 1&2)
4 Stepping Into The Breach
5 Valencia
6 Carnival
7 Sad Sack In A Cadillac
8 The Devil You Know
9 The Lines We Cross
10 Instant Conclusions Decade
Pristine „The Lines We Cross“
Cargo Records