Sonja Kandels „Express your life“

Manche Dinge brauchen bekanntlich ihre Zeit, um so zu werden, dass sie rundum zufrieden stellen. Bei Sonja Kandels hat es nun einige Jahre gedauert, umso glücklicher ist die Sängerin mit ihrem neuen, dritten Album. Dessen Titel Express Your Life darf gerne programmatisch gelesen werden. „Es geht darum, das Leben im kreativen Ausdruck sichtbar zu machen“, sagt Kandels, die einen großen Teil ihrer Jugend in Afrika, vor allem in Kamerun verbracht hat, ehe sie in Berlin Jazzgesang studierte. „Brücken zwischen Europa und Afrika zu bauen habe ich immer als wesentliches Element meiner Musik verstanden, ebenso das Spielen und Improvisieren mit Menschen aus aller Welt, die neugierig auf ihr Gegenüber sind.“ Und so mag es von außen betrachtet zwar ungewöhnlich wirken, für Kandels ist es dagegen eine Selbstverständlichkeit, dass sie ihr aktuelles Werk mit Musikern aus Senegal, Elfenbeinküste, Kolumbien, Chile und Deutschland aufgenommen hat.

Zu den prominentesten zählen sicher der Pianist Thomas Rückert (u.a. zwei Alben auf Pirouet, Kooperation mit Lee Konitz, Studienreisen nach Indien, Afrika, Nordamerika) und der international etablierte Balafon-Virtuose Aly Keita, hierzulande bekannt durch das Trio Ivoire mit Hans Lüdemann und Christian Thomé, mit denen Kandels früher auch schon gearbeitet hat. Die oft an westafrikanische 6/8-Muster angelehnten, teils auch auf südamerikanische Rhythmen (etwa brasilianischem Calypso) basierenden Grooves werden hauptsächlich vom Schlagzeuger Miguel Altamar und dem E-Bassisten Juan Camilo Villa befeuert, beide langjährige Trio-Partner von Marialy Pacheco. In einigen Stücken setzen Aladji Mbaye Tama an der Talking Drum und Pape Seck an den westafrikanischen Congas Bougarabou pointierte Akzente. Aus Chile stammen Gitarrist Alvaro Severino, Drummer Pablo Sáez und der Perkussionist Alfonso Garrido (bekannt von der Band Heavytones). Zum vielgestaltigen Line-up gehört zudem Issa Sow, dessen markant-sprunghafte und hochfliegende Gesangspassagen unmittelbar an große Vokalisten Westafrikas denken lassen. Dass es beim gemeinsamen Spielen nicht nur um Virtuosität, sondern ebenso um persönliches Einverständnis geht, betont auch Sonja Kandels: „[der Gitarrist] Leif Bräutigam hat mich vor vielen Jahren auf der Bühne gesehen und danach eine CD von mir gekauft – heute spielt er in meiner Band.“

Mit ihrem lebensbejahenden, fast durchgängig optimistisch gestimmten Express Your Life schlägt Sonja Kandels musikalische Brücken und schließt Kreise zu wichtigen Stationen ihres Lebens. „Ein Teil des Konzepts war natürlich, dass internationale Musiker zusammenkommen und die Stücke mit ihren Ideen bereicherten. Zum anderen besteht das Repertoire aus Liedern, die mir viel bedeuten und die ich schon länger aufnehmen wollte.“ Den Samba-inspirierten Titelsong des Albums schrieb Kandels während eines Aufenthalts in Kamerun, mit ihren Hommagen an Miriam Makeba erinnert sie sich an ihre erste Begegnung als Teenager mit „Mama Africa“. Curtis Mayfields Move On Up begeisterte sie einst in der Interpretation von Angelique Kidjo, ihre eigene Variante singt Kandels teils in der Sprache der Baka Pygmäen. Mit ihnen verbindet sie eine besonders intensive Erfahrung. Im Rahmen eines Stipendiums unternahm sie eine Studienreise zu den kleinwüchsigen Menschen in Massea, im Dschungel zwischen Kamerun und Kongo. „Die Lieder der Baka bestehen nur aus Gesang und Perkussion, sie sind immer auf eine für uns rätselhafte Art polyrhythmisch und voll repetitiver, ineinander greifender Phrasen“, erklärt Kandels fasziniert. „Was die Baka mit ihren Stimmen machen, habe ich auf Instrumente übertragen.“

Sonja Kandels erste beiden Alben, God Of Laughter und Fortunes Arrive, erhielten seinerzeit viel positive Resonanz. Die FAZ konstatierte: „Mal lotet sie in dunkleren Tonlagen Blues-Stimmungen aus oder verleiht poetischen Balladen nachdenkliche Atmosphäre. Mal lässt sie ihre Stimme fröhlich durch sprunghafte Melodien tanzen und steigert sich in schneidende Afro-Scats.“ und für Die Welt gehörte Kandels Debüt „zu den überraschendsten Tonträgern des Jazzjahrgangs.“ Der Berliner Tagesspiegel befand: „Zwischen markantem Groove und sanftem Minimalismus wirkt die Platte wie ein Poem, mit Balladen, die wie ein Sonnenuntergang über der Steppe glühen. Sonja Kandels jedenfalls improvisiert über Afrika, wie hier zu Lande niemand sonst. Ein kleines Meisterwerk.“

Richtig glücklich wurde Kandels auf Dauer trotzdem nicht in der Hauptstadt. „Ich fühlte mich irgendwann nicht mehr zuhause im Berliner Lifestyle und brauchte Veränderung.“ Ein Angebot aus Nordrhein-Westfahlen wurde zum Sprungbrett, der Metropole den Rücken zu kehren und in eine ruhigere, ländliche Umgebung zu ziehen. Als Erfinderin und künstlerische Leiterin des Chors The Power Of Voice kreierte Kandels ein Projekt, an dem über einige Jahre hinweg mehr als 1000 Kinder teilgenommen haben, mit Workshops und Auftritten u.a. beim Jazzfestival Viersen und der Jazz-Rally Düsseldorf sowie beim internationalen Afrika Forum des Bundespräsidenten. Danach beteiligte sich Kandels verstärkt an interdisziplinären Performances, vorrangig an Verbindungen von zeitgenössischem Tanz oder Malerei mit Musik. 2012 erhielt sie eine Einladung des Goethe Instituts Dakar und gab dort, zusammen mit Lüdemann, Thomé und Stefan Rademacher, Workshops und Konzerte. 2015 wurde Kandels vom Johannesburger Center for Young Talents in Music & Film engagiert, um das Projekt Under Joburg Skies mitzugestalten. Erste Workshops und die Eröffnungsgala erhielten viel Anerkennung, dennoch wurden ursprünglich fest zugesagte Mittel unerwartet in andere Richtungen gelenkt, alle weiteren Pläne waren damit hinfällig.

Dass Sonja Kandels nun Express Your Life präsentieren kann, ist auch einer unerwarteten Begegnung zu verdanken. Es war Issa Sow, der sie dem Musiker und Produzenten Robert Niegl vorstellte, einem ehemaligen Schüler von Hans Lüdemann und erfahren in deutsch-afrikanischen Kooperationen. Nach dem Hören erster Demos lud Niegl Kandels ein, in seinem Studio an neuen Aufnahmen zu arbeiten. „Das eröffnete mir ungeahnte Möglichkeiten und eine andere Perspektive auf die Musik“, erklärt Kandels. Schon länger deckt sie ihre Lebenshaltungskosten vor allem durchs Unterrichten, was ihr die Freiheit gibt, ohne Druck genau die Musik zu kreieren, die ihr am Herzen liegt. „Roberts Studio wurde zu einer Oase, in der ich in meinem Tempo aufnehmen und feilen konnte.“

Eine Art abstrahiertes Oasen-Motiv ziert die Rückseite des Albumcovers. Das Sofa inmitten einer Wildnis bezieht sich natürlich auf das surrealistische Bild Der Traum des französischen Malers Henri Rousseau. Für das Foto hatte Kandels ihr in Berlin gebautes, aber von ihrer Mutter einst in Uruguay ersteigertes Jugendstilsofa in ein Maisfeld geschleppt und wichtige Erinnerungsstücke aus ihrer Wohnung drumherum drapiert. Der gefragte Grafiker Knut Schötteldreier verwandelte schließlich das heimische Feld in eine imaginäre exotische Pflanzenwelt. Eine gewitzte optische Umsetzung der Musik von Sonja Kandels. Ihre positiven Stimmungen sind auch Klang gewordenes Plädoyer für Kooperation und Verständigung über kulturelle und geografische Grenzen hinweg. Vor allem aber beeindrucken die globale Musik und Kandels starke, wandlungsfähige Stimme mit sehr persönlicher und im besten Sinn zeitloser Ausdruckskraft.

Tracks

1. Savi
2. Mama Wope
3. Manungo Na
4. Express Your Life
5. Ayay Bimbam
6. Canto Danto
7. Move On Up
8. Mister
9. Throw It Away
10. Nature Boy – Nature Girl
11. Click Song
12. Malaika
13. Gracias A La Vida

Sonja Kandels „Express your life“
Jazzsick Records