Als Angela Merkel kurz nach dem Mauerfall in Bonn und in der CDU ankommt, beginnt der spektakulärste politische Überlebenskampf der jüngeren deutschen Geschichte. Die Frau, die dreieinhalb Jahrzehnte im Sozialismus gelebt hat, ist getrieben von dem Willen, diesen Kampf zu gewinnen. „Bloß nicht verlieren! Diesen Grundsatz hat sie immer gelebt“, sagt Horst Seehofer. Diesem Credo ordnet die erste Kanzlerin der Bundesrepublik ihre Entscheidungen unter, häufig wider besseres Wissen oder eigene Überzeugungen.

Die Physikerin Merkel hält den Atomstrom für eine wichtige Energiequelle, doch weil viele Wähler, vor allem aber ihre Partei und die CSU nach dem Reaktorunglück in Fukushima gar nicht schnell genug aussteigen können, beugt sie sich dem Druck. Sie sieht, in welchem Ausmaß die Bundeswehr unterfinanziert ist, kämpft aber nicht gegen den Unwillen des sozialdemokratischen Koalitionspartners an, daran etwas zu ändern. Um keine Schwäche zu zeigen, geht sie über viele Herausforderungen hinweg und täuscht damit die Deutschen. Viele von ihnen lassen es geschehen, weil das der bequemere Weg scheint.

Bei all dem spielt Merkels Herkunft aus der DDR eine wichtige Rolle. Erst wenige Wochen vor dem Ende ihrer Kanzlerschaft macht sie in einer Rede zum Tag der Einheit am 3. Oktober deutlich, wie fremd sie sich immer noch in der Bundesrepublik und in ihrer westdeutsch geprägten Partei fühlt.

Autor
Eckart Lohse
, geboren 1962, studierte Politikwissenschaft, Neuere Geschichte und Romanische Philologie in Bonn. In Paris und München schrieb er eine Dissertation über Frankreich und die deutsche Teilung in den Fünfzigerjahren. Neben dem Studium erfuhr er als Lokalberichterstatter bei verschiedenen Zeitungen viel über das Wesen der Politik. Auf einen Abstecher zum Deutschlandfunk folgte das Volontariat bei der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹. Von 1994 an Redakteur in der politischen Nachrichtenredaktion. 1996 Wechsel ins Bonner, 1999 ins Berliner Büro der FAZ. Von 2003 bis 2014 leitender politischer Korrespondent der ›Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‹. Anschließend Rückkehr in die Parlamentsredaktion der FAZ, von 2018 an deren Leiter. 2004 bis 2008 Mitglied des Vorstands der Bundespressekonferenz. Zusammen mit Markus Wehner vom ›Medium Magazin‹ ausgezeichnet als »Journalist des Jahres 2011«. Seine Biographie von Karl-Theodor zu Guttenberg war ein ›Spiegel‹-Bestseller.

Die Täuschung
Autor: Eckart Lohse
336 Seiten, gebunden
dtv
Euro 25,00 (D)
Euro 25,70 (A)
ISBN 978-3-423-28442-4