Bastian Stein Trio „An Eel’s Trip“
Die Grenzen zwischen Tradition und Avantgarde sind im Jazz längst verwischt. Worauf es im Jahr 2020 ankommt, ist einzig Individualität. Der in Köln lebende Trompeter Bastian Stein ist ein ausgeprägter Individualist, der uns in seiner Musik einen tiefen Einblick in die Welt seiner Gefühle, Empfindungen und Maximen gewährt.
Bastian Steins Trio mit Bassist Phil Donkin und Drummer James Maddren hat Geschichte. Bereits 2015 fand man sich für eine erste Plattenproduktion zusammen, damals aber noch im Quartett. Vierter im Bunde war Saxofonist Johannes Enders, in dessen Band Enders Room Stein wiederum Trompete spielte. Die Einheit funktionierte perfekt, wie man auf der CD „Viktor“ hören kann. Doch gerade weil das Spiel zwischen Enders und Stein so symbiotisch war, neutralisierten sich beide Formationen in der öffentlichen Wahrnehmung, und Stein beschloss im Trio weiterzumachen. Die Herausforderung war gigantisch, denn allzu viele Beispiele für die Besetzung von Trompete, Bass und Schlagzeug gibt es in der Jazz-Geschichte nicht. „Das wollte ich schon immer mal machen“, gesteht Stein, „ich hatte mich nur nicht so richtig getraut, weil es von der technischen Seite ziemlich anspruchsvoll ist. Ich fühle mich aber mit James und Phil so wohl, dass diese Probleme überhaupt nie aufkamen und nur in meinen Befürchtungen existierten. Dieses Trio ist für mich die optimale Besetzung.“
Kein Wunder, denn Bastian Stein ist ein Trompeter, der vor allem auf zwei Komponenten in der Musik achtet. Bereits in seiner ersten Band mit Pablo Held, Matthias Pichler und Tobias Backhaus, mit der er 2013 das Album „Diegesis“ veröffentlicht hatte, legte er sein Augenmerk auf den individuellen Klang und den persönlichen Ausdruck. Egal in welcher Konstellation er antritt, es kommt ihm immer auf die Nuancen an, individuell und kollektiv. Täglich arbeitet er an den Feinheiten seines eigenen Sounds. Dadurch, dass sich in seinem aktuellen Trio das typische Gefüge aus Rhythmusgruppe und Solist in ein interaktives Spiel auf Augenhöhe aller Beteiligten transformiert hat, findet er den Platz, um seine Klangvorstellungen adäquat zu verwirklichen.
Die Zusammenarbeit mit Donkin und Maddren ist kein Zufall, wie Stein rekapituliert. „Ich wollte schon immer ein Projekt mit James machen, den ich vor allem aus dem Kit Downs Trio kannte. Er spielt so unglaublich dynamisch. Da mein eigenes Instrument sehr laut ist, brauche ich einen Drummer, der sich nicht scheut, ebenfalls laut oder eben auch mal ganz leise bzw. gar nicht zu spielen. Seine Spielweise hat mich schon immer sehr erfüllt. Als ich ihn fragte, wen er sich am Bass vorstellen könne, schlug er zum Glück Phil Donkin vor, der sowieso ganz oben auf meiner Liste stand. Ich hatte zuvor schon mit ihm bei Jure Pukl gespielt, und wir hatten uns super verstanden. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine Formation, in der alle Mitglieder die gleiche Vorstellung haben, wie die Musik funktionieren soll.“
Grundsätzlich gibt es auf der Trompete zwei sehr gegensätzliche Archetypen. Zum einen sind da die Kämpfer, die mit ihrem Horn schrill und laut alles in Grund und Boden blasen und sich in jeder Konstellation Gehör verschaffen. Ein Beispiel dafür wäre Roy Eldridge. Die anderen sind die Poeten, die mit Klängen spielen und jeden Ton fein austarieren, allen voran Kenny Wheeler. Stein gehört unzweifelhaft zur zweiten Kategorie. Er spielt mit einer großen Wärme, Nachdenklichkeit und Liebe für die große Form. Mit seinem Instrument ist er rund um die Uhr verbunden. Selbst wenn er die Trompete mal nicht in der Hand hält, hat er sie im Kopf. Sie zeigt ihm seine Möglichkeiten, aber auch seine Grenzen und hat ihn nach eigenen Worten über Triumphe, wie auch durch Phasen der Frustration geführt. In seinem Spiel schlagen sich all diese Erfahrungen in winzigen Schattierungen seines Timbres nieder, die große Effekte in der musikalischen Gesamtkonstellation auslösen. „Ich will definitiv nicht zeigen, was ich alles spielen kann, sondern versuche immer das große Ganze zu sehen. Das trifft auch auf meine Mitstreiter zu, die nie das Bedürfnis haben, sich in den Vordergrund zu spielen. Sie sind immer für die Musik da und helfen mir, meine Ideen zum Klingen zu bringen.“
Bastian Stein ist ein Musiker, der immer die richtige Balance zwischen der großen Form und dem spielerischen Augenblick findet. Perfektion findet er langweilig. Keine Idee wird so lange wie möglich ausgereizt. Im Gegenteil, was gesagt ist, ist gesagt, und was nicht gesagt werden konnte, kann man ja beim nächsten Mal erzählen. In dieser Beschränkung aufs expressiv Wesentliche liegt die große narrative Kraft seiner Musik. Die Fassung eines jeweiligen Stückes hat immer nur für den Augenblick Gültigkeit, in dem sie entsteht. „Auf einer CD spielt man eine bestimmte Version eines Stückes ein, aber wir haben natürlich jeden Track auch schon ganz anders gespielt. ‚Fantasia’ zum Beispiel war auf der letzten CD in einer sehr schnellen Version zu hören, diesmal ist eine Ballade daraus geworden. Wir können alles machen, was wir wollen, und es ist immer wieder spannend, wie wir unseren Weg finden. Restlos zufrieden bin ich nie mit einem Stück, denn ich habe immer das Gefühl, da müsste auch noch etwas ganz anders sein.“
Die Songs des Bastian Stein Trios sind keine Romane, sondern pointierte Kurzgeschichten mit offenem Ausgang. Alle drei Musiker lassen bewusst Fehler zu, wollen ihre Ecken und Kanten hörbar machen. Die gut transportierte Grundhaltung ist Stein um einiges wichtiger als die bis ins Letzte geplante Inszenierung. Er geht ins Risiko, und Risiko bedeutet eben Risiko. „Alles ist erlaubt. Es kann nichts schiefgehen, denn wenn tatsächlich etwas nicht so läuft, wie man es sich vorstellt, ist das immer eine Chance, etwas anders zu machen.“
Wolf Kampmann
Tracks
01. Pollenflug 3:53
02. Adventure Time 5:48
03. An Eel’s Trip 2:08
04. Comfort Zone 6:12
05. Fantasia 3:12
06. Straight Ahead 3:43
07. This Place 4:14
08. Precious Things 6:02
09. Not Mine 4:51
10. Ground Control 3:55
11. The End 3:42
Bastian Stein Trio „An Eel’s Trip“
Klaeng Records