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Dominic Miller "Absinthe"

absintheMit „Absinthe“ hat der Gitarrist Dominic Miller ein Album geschaffen, das von einer ganz speziellen Atmosphäre geprägt ist. “Das erste, was mir in den Sinn kam, bevor ich irgendwelche Stücke schrieb, war der Titel”, schreibt er in den Liner-Notes. “Ich lebe in Südfrankreich und bin fasziniert vom Impressionismus. Scharfe, helle und fast hexenhafte Mistrals, kombiniert mit starkem Alkohol und einem intensiven Kater müssen einige dieser Künstler in den Wahnsinn getrieben haben. Der Himmel ist grün, das Gesicht ist blau, die Perspektive ist verzerrt.”
Während Millers ECM-Debüt „Silent Light“ den Schwerpunkt auf Solo- und Duo-Settings legte, hat Miller für „Absinthe“ ein Quintett geformt, das seine lyrischen Kompositionen in ein strukturiertes Setting bringt. Miller, der zwischen Nylon- und Stahlsaiten-Akustikgitarren wechselt, hat im Bandoneon von Santiago Arias ein wichtiges harmonisch-melodisches Spiegelbild gefunden. Manu Katché, der neben Miller jahrelang Mitglied in der Band von Sting gewesen ist, bringt am Schlagzeug lebhafte Präsenz ein. Mike Lindups Keyboardtöne können eine geisterhafte Note verleihen (so z.B. im Titeltrack des Albums), während der Bassist Nicholas Fiszman den Sound des Ensembles erdet. Was Miller betrifft, so hat ihn das Magazin JazzTimes als einen Gitarristen beschrieben, der “jeden Ton und die Pausen dazwischen melken kann, und mit seinen Fingern flüsternde Effekte erzeugt, wenn sie über Saiten gleiten”.
„Absinthe“ wurde nicht nur in Südfrankreich konzipiert, sondern hier haben Miller und Band das Album auch aufgenommen und haben mit Manfred Eicher im Studio von La Buissonne, in Pernes-les-Fontaines, zusammengearbeitet. Das Ambiente war ideal, sagt Miller: “Es ist eine tolle Atmosphäre, in der man sehr gut arbeiten kann. Und ich liebe die Zusammenarbeit mit Manfred – er ist ein echter Produzent. Ich denke an die inspirierende Authentizität der Platten, die er mit Egberto Gismonti gemacht hat. Sie waren mir so wichtig…..“
“Für meine beiden ECM-Alben, und vor allem bei diesem neuen Album, war meine anfängliche Vorstellung von einem Song wie die eines einfachen Selfie”, erklärt Miller. “Wenn wir die Arbeit an einem Track erst einmal beendet haben, wird das Stück zu diesem angereicherten fotografischen Standbild, mit all dem Licht und Schatten des Lebens darin. Manfred hilft, die Essenz der Musik hervorzuheben und drängt uns dabei oft aus unseren Komfortzonen. Aber ich bin bereit dazu – wir haben jeden Song im Studio neu überdacht, neu gestaltet und interpretiert. Ich habe im Laufe der Jahre etwa 250 Pop- und Rock-Platten gemacht, und das ist oft ein Prozess zur Erreichung der sogenannten Perfektion. Aber Manfred ist nicht hinter dieser Art von Perfektion her.”
Geboren in Argentinien als Sohn eines amerikanischen Vaters und einer irischen Mutter, wuchs Miller ab dem Alter von 10 Jahren in den USA auf und ging dann in England weiter zur Schule. Die internationale Denkweise des Gitarristen wurde erst durch eine jahrzehntelange Weltreise mit Paul Simon, The Chieftains, Plácido Domingo und vor allem Sting vertieft. Miller ist seit langem als Stings „rechte und linke Hand“ an der Gitarre bekannt – unter anderem als Co-Autor von “Shape of My Heart”, „La Belle Dame Sans Regrets“ und anderen Welthits. “Ich bin von Stings kreativem Harmoniesinn beeinflusst worden und wie er Lieder formt”, sagt der Gitarrist. “Ich versuche das Gleiche zu tun, indem ich eine Erzählung mit Instrumentalmusik schaffe, die ich als Lieder behandle und arrangiere, mit Versen, Refrains und Brücken. Ich habe viel von ihm über Konzept und Anordnung aufgenommen, ebenso darüber, wie man eine Geschichte präzise erzählt.
Miller hörte jahrzehntelang Katchés einzigartigen rhythmisch-koloristischen Touch im Ohr, während Fiszman in der aktuellen Live-Gruppe des Gitarristen spielt. Das intuitive Spielverständnis zwischen Schlagzeug und Bass wird hier durch den Austausch in “Ombu” unterstrichen, einem Track, der nach einem Baum in Argentinien mit großen Wurzeln benannt ist. Dagegen entdeckte Miller erst vor kurzem Santiago Arias, dem er in Buenos Aires begegnete. “Ich war auf Tour dort und ging an einem freien Abend aus, um mir einen Jam mit einigen lokalen Spitzenmusikern anzusehen. Sie alle haben auf diesen jungen Bandoneonspieler hingewiesen. Als ich dann das Spiel von Santiago miterlebte – diese akustische, aber nicht-tango-artige argentinische Folkmusik, gemischt mit europäischen Einflüssen – fühlte ich sofort einen Funken überspringen. Ich habe die Musik von „Absinthe“ mit dem Timbre seines Instruments und seinem Raumgefühl im Kopf geschrieben.”
Arias’ Bandoneon spielt auf dem gesamten Album eine wichtige Rolle, sei es atmosphärisch in Stücken wie dem schattenhaften “Ténèbres” oder als solistische Stimme in “Saint Vincent”. Der Titel des letztgenannten Songs bezieht sich nicht auf Van Gogh, sondern auf den verstorbenen kamerunischen Gitarristen Vincent Nguini, einen langjährigen Mitmusiker von Paul Simon und eine Art Mentor für Miller. “Vincent hatte ein so besonderes Zeitgefühl, über das Schlagzeuger gerne reden”, sagt er. “Mit seinem einzigartigen Timing konnte man anhand nur weniger Noten hören, dass er es war.”
Der Titeltrack von „Absinthe“ beginnt mit Millers charakteristischem Nylonsaiten-Finger-Picking auf seiner japanischen Kleinkörpergitarre in einer handwerklichen Präzision” wie sie nur ihm zu Eigen ist, wie die Irish Times es ausdrückte. Nach zwei Minuten melodischer Entwicklung mit Gitarre und Bandoneon setzt Katchés Beat druckvoll ein, verstärkt durch Fiszmans tiefen Bass. Das Stück nimmt sofort das Drama einer Geschichte auf, wobei Lindups Synthesizer-Linie subtil wie ein Gespenst durch das Arrangement surrt und der Erzählung etwas Jenseitiges hinzufügt. “Ich wollte, dass der Synthesizer ein störendes Element darstellt, wie z.B. eine durch Absinth hervorgerufene Benommenheit”, erklärt Miller. “Ich kenne Mike seit Jahren und vertraue implizit darauf, was er in meine Musik einbringen kann, sei es ein Hauch von unkonventionellem oder fließendem Klavier, wie bei ‚Etude‘ und ‘Verveine‘. Das letzte Lied ist übrigens nach einer Art Kräutertee benannt, den sie besonders in Frankreich trinken und den ich sehr gerne mag. Es ist angeblich gut gegen Kater, also schätze ich, dass die alten Maler es als beruhigendes Gegenmittel nach den durch den Absinth-Genuss ausgelösten Visionen benutzt haben könnten.”
Tracks
1. Absinthe
2. Mixed Blessing
3. Verveine
4. La Petite Reine
5. Christiania
6. Étude
7. Bicycle
8. Ombu
9. Ténèbres
10. Saint Vincent
Dominic Miller „Absinthe“
ECM