Klan „jaaaaaaaaaaaaaaaa!“

Klan waren schon immer irgendwie anders, irgendwie echter, irgendwie charmanter und eigenwilliger als der Rest. In einer Glitzer-Glamour-Welt der aufgeplusterten Künstler*innen- Egos, Fake-Identitäten, Tik-Tok-Hits und Gästelisten-Events bestechen Michael und Stefan Heinrich immer wieder neu mit irreal anmutender Ungeschminktheit und Wahrheitsliebe. Noch nicht einmal die Bruderschaft musste das Duo der Authentizität halber konstruieren – Michael und Stefan teilen tatsächlich dasselbe Elternhaus, sind zusammen aufgewachsen, zeitlich versetzt aus ihrer Heimatstadt Leipzig nach Berlin übergesiedelt und 2016 ohne jeglichen Impuls Dritter zu einer Band verschmolzen. Spätestens seit dem ersten Album »Wann hast du Zeit?« aus 2018 verkörpert Klan-Musik den Spagat zwischen Do-It-Yourself-Attitüde und Majordeal, Subkultur und Mainstream, Indie und Pop, gefälliger Melodie und mehrbödig- reflexiver Textebene. Eine weitere LP, ein paar Tapetenwechsel im Privaten und etliche mitreißende Shows später veröffentlichten Klan im Januar 2023 ihr drittes Album »jaaaaaaaaaaaaaaaa!«.

Vieles hat sich verändert seit 2020 und dem Release des letzten Großprojekts »Zwei Seiten«. Michael ist Vater geworden. Klan sind nicht mehr beim Major, zum ersten Mal seit ihrem Bekanntwerden Independent unterwegs und damit endlich angekommen. Dazu hat die Band ihr musikalisches Netzwerk deutlich erweitert und durfte 2022 nach Pandemie-bedingter Pause endlich wieder auf Bühnen schwitzen und durch die Republik touren. Passend dazu ist »jaaaaaaaaaaaaaaaa!« keines dieser ‚Corona-Alben‘, sondern vielmehr eine Post-Lockdown-Platte. Den Grundstein für die LP haben Micha und Stefan im September 2021 während eines Kreativurlaubs im brandenburgischen Idyll gelegt, der Feinschliff endete ein Jahr später im Zuge eines Marathons durch verschiedene Berliner Studios. Wie schon auf »Zwei Seiten« – und das ist die wohl wichtigste Parallele – hat Gitarrist Stefan alle sechzehn Stücke im Alleingang produziert. Sein ausgefeilter Produktionsstil markiert das Bindeglied zwischen Song gewordenen Gedankenblitzen und komplex durchdachten Thementracks, fusioniert Akribie mit Spontanität und schwermütig-melancholische Balladen der Marke »Kerze« oder »Unendlichkeit« mit zackig-verspielten Songs à la »Hey Nora« oder »Menschen sind Drogen«, die offensichtlich für die Live-Situation geschrieben sind. »jaaaaaaaaaaaaaaaa!« gleicht einer Mutprobe, selbst für Klan-Verhältnisse – schon dem Albumtitel wohnt diese Programmatik inne. »jaaaaaaaaaaaaaaaa!«, jener Ausruf, der auf den ersten Blick beliebig und konfus anmuten mag, ist Mantra, Lebenseinstellung, nimmermüder Running-Gag und treffendes Sinnbild für die Neuerfindung der Band zugleich. »jaaaaaaaaaaaaaaaa!« ist Ausdruck eines Gefühls, entschlossener Konter gegen die Negativität unserer Zeit und Jubelschrei nach dem Siegestor in der Nachspielzeit. Es ist eine progressive Parole, die den destruktiven Lärm der Welt übertönen will und ganz nebenbei schon immer Lieblings-Adlib im Hause Klan.

Tatsächlich hätte es keinen besseren Namen geben können für diese Platte, die kaum lebensbejahender sein könnte und auf so vielen Ebenen ein Befreiungsschlag ist. Mit dem neuen Album lassen Klan alte Vorstellungen hinter sich, spielen sich endgültig frei vom Indieboy-Image, das sie sich lange Zeit selbst auferlegt haben. »jaaaaaaaaaaaaaaaa!« möchte bewusst keinem Genre angehören, keine Pose sein, keine Klischees bedienen. Vielmehr verkörpert es Wagemut und Freigeist, ist Konglomerat verschiedenster Themen, Einflüsse, Ausreißer, Referenzen, Gäst*innen- Handschriften und Überraschungen. »Dass du mich liebst« mit Lea kommt ganz ohne Drums aus, »Internet« mit Alligatoah ist der vielleicht erste gelungene deutschsprachige Popsong mit ironisch- kritischer Note. »Wenn Ich Du Wär«, »Der Mann, der Alles Hat« oder »Rettungsboot« sind explizit politische, in Pop-Sprache formulierte Statements, »Juli« ist im direkten Kontrast ein maximal erfrischender Good-Vibe-Moment. Im Zentrum des Projekts »jaaaaaaaaaaaaaaaa!« steht dennoch einmal mehr die Reflexion der Gefühlswelt Liebe. Dabei verzichten Klan auf klassische Romanzen, widmen sich vielmehr der Überwindung toxischer Facetten in zwischenmenschlichen Beziehungen und greifen dabei auch das eigene Bruderverhältnis ungeschönt auf. »Warum ist es mir all die Jahre so schwer gefallen, zu sagen, dass ich dich lieb hab«, heißt es in »Familie«, einem Kernstück des Albums. Klan sind also immer noch »das Chamäleon der deutschen Popmusik«, nur noch etwas farbenfroher und so anders und echt und charmant und eigenwillig wie nie zuvor.

Tracks
1. Hey Nora
2. Guilty Pleasure
3. Internet – KLAN, Alligatoah
4. Wenn ich du wär
5. Familie – KLAN, Oh Brother
6. Dass du mich liebst – KLAN, LEA
7. Geflickt – KLAN, Ami Warning
8. ABC
9. Linie 72 – KLAN, Antja Schomaker
10. Der Mann, der alles hat
11. Juli
12. Kerze – KLAN, Katha Pauer
13. Rettungsboot
14. Menschen sind Drogen
15. Nacht
16. Unendlichkeit

Klan „jaaaaaaaaaaaaaaaa!“
Knal