Rainer Böhm „What If“
Es ist, als würden in diesen Sextettaufnahmen all die Qualitäten zusammenkommen und zum Blühen gebracht, für die der in Köln lebende Ravensburger Pianist und Komponist Rainer Böhm immer wieder gelobt wird: seine stupende Technik, sein melodischer Einfallsreichtum, seine melancholische Grundierung, seine Exkursionen hin zu Elementen klassischer und zeitgenössischer ernster Musik, sein Wechselspiel von Melodiegestaltung und Akkordbegleitung, sein ausgeprägter Sinn für Dramaturgie, seine Balance zwischen Improvisation und Komponiertem, seine hohe Emotionalität, seine Suche nach einem aufgerauten Wohlklang, seine rhythmischen Akzente und vor allem sein Spiel im Dienst der jeweiligen Sache.
Auf mehr als sechzig Einspielungen kann man das nachhören und die Entwicklung dieses famosen Pianisten verfolgen. Vielfach ist der heute 45-Jährige dafür mit renommierten Preisen ausgezeichnet worden. Als Professor für Jazzklavier und Ensembleleitung in Mannheim und Nürnberg war er hierzulande einer der jüngsten seines Fachs.
Mit seinem deutsch, schweizerisch, britisch besetzten Sextett nun bündelt er all diese Eigenschaften in einem größeren Format. Das als Glücksfall zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. Wie mit Händen zu greifen sind Spielfreude, Witz, kluge Verschränkungen und solistische Höhenflüge, die so in ein elastisch tragfähiges, kluges Konzept eingebunden sind, dass man tatsächlich eine organische Band hört. Die Nuancen sind breit gefächert, die Details stimmen und sorgen immer wieder für ein kurzweiliges Voranschreiten fern jeder Geschwätzigkeit. So ist das Ergebnis größer als die Summe der Teile.
Mit der Rhythmusgruppe aus Bassist Arne Huber und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel hat Rainer Böhm immer wieder in diversen Konstellationen gespielt. Dazu hat er mit der Bläsersektion mit dem britischen Trompeter Percy Pursglove, dem Schweizer Tenorsaxofonisten Domenic Landolf und dem Randberliner Wanja Slavin am Altsaxofon eine Traumband formiert, die fintenreich und dynamisch durch elf Böhm-Kompositionen navigiert. Es ist, als würde Rainer Böhm mit dieser vorzüglichen Breitwandbesetzung im großen Format sein bisheriges Schaffen bündeln und in immer neuen Facetten zum schillern bringen.
Jede der Kompositionen bleibt stringent, farbenreich und distinktiv. Insgesamt ergibt das ein überzeugendes Statement, in dem sich die Beiträge von sechs Individualisten einer großen Form zuordnen in immer neuen Wendungen. Am Beginn besticht ,,Past And Present“ mit hymnisch schwelgerischer Melodik von hoher Emotionalität, in die hinein bald Wanja Slavin eins seiner unverhofften und originellen Solos steuert, ohne dabei kraftmeierisch den Kontext der Band zu verlassen. Überhaupt ist es diese enge Verschränkung, die alle Stücke prägt und trägt. ,,Flying Sea Star“ setzt dann genau dort an und schreibt die Geschichte weiter in neuen Klangfarben, bis die Band gewissermaßen zu einem furiosen Kollektivsolo aufbricht. ,,Poly Interlude“ basiert auf einem polyrhythmischen Konzept, das raffiniert ausgeschritten wird und durch unterschiedliche Taktarten führt. Auch ,,Polizei“ ist von diverser Polyrhythmik durchzogen bis hin zu Taktwechseln im Soloteil.
Das Titelstück ,,What If“ ist sehr expressiv, während ,,Decision Maker“ in reicher Harmonik swingt. Mit Octopus“, ,,Time-Circle“ und The Way You Think“ folgen drei Pianotriostücke, die in wundervollem Farbenreichtum schillern und swingen. Die finalen Sextettkompositionen ,,The Wooden Box“ und ,,Le Pardon“ schließlich schlüpfen in differente musikalische Gewänder zwischen impressionistisch, lyrisch und energetisch, um in eine ausschreitende Ballade zu münden, in der die Ahnen Ellington und Mingus aufscheinen. (Ulrich Steinmetzger)
Tracks
Past and present
Flying sea star
Poly interlude
Polizei
What if
Decision maker
Octopus
Time – circle
The way you think
The wooden box
Le pardon
Rainer Böhm „What If“
enja