Ajay Mathur „Talking Loud“

Eklektisch, geerdet und immer wieder überraschend – so lässt sich der außergewöhnliche Trademark-Sound des Grammy-nominierten Singer-Songwriters Ajay Mathur beschreiben. Ein musikalischer Kosmopolit und geschmeidiger Wandler zwischen den Stilwelten, der in seinen packenden Tracks handverlesene Elemente aus Pop, Rock, Americana, Country, Funk, Blues, asiatischen Traditionsinstrumenten und sogar Kammermusik, Electronica und Volksmusik zu einem ebenso faszinierenden wie auch eigenwilligen Genre-Crossover kombiniert. Mit seinem fünften Longplayer „Talking Loud“ legt der Wahl-Schweizer mit indischen Wurzeln nun eines der wohl facettenreichsten Alben des Jahres vor!

Ajay Mathur lässt sich nicht in irgendwelche stilistischen Schubladen pressen. Statt sich auf nur ein einziges Genre zu limitieren, lebt der charismatische Sänger und Musiker seine fast kindliche Experimentierfreude und Forscherdrang aus. Wenn es sein muss auch gegen alle schnelllebigen Trends, denen er sich mit seinem zeitlosen und doch zeitgemäßen Style-Mix entgegenstellt. Ein künstlerisches Selbstbewusstsein und Selbstverständnis, das Ajay bereits auf den Vorgängeralben „A Matter Of Time“ (2011), „Come See Conquer“ (2013), dem für einen Grammy nominierten „9 to 3“ (2015) sowie dem vor dreieinhalb Jahren releasten „Little Boat“ demonstriert hat, das von der Deutschen Popstiftung als „Deutschlands bestes englischsprachiges Album des Jahres 2018“ ausgezeichnet wurde.

Sämtliche Alben konnten nicht nur hervorragende Kritiken in internationalen Medien generieren, sondern brachten Ajay Mathur neben Platzierungen in den US Top 50 Rock-Charts, den US Top 80 Independent-Charts, den US Top 50 AC und Americana (AMA) Airplay-Charts sowie den europäischen Indie Music Charts (in denen er sich für nicht weniger als 128 ununterbrochene Wochen hielt) auch wohlmeinende Vergleiche mit Legenden wie Jackson Browne, Bob Dylan, David Bowie, Tom Petty, Leonard Cohen oder den Beatles ein.

Apropos Beatles. Letztgenannten hat Ajay Mathur auch seine erfolgreiche Musikerkarriere zu verdanken. Aufgewachsen in Indien waren es niemand Geringere, als die Liverpooler Pilzköpfe höchstpersönlich, die in dem damals 14-Jährigen die Leidenschaft für die Musik weckten – als Ajay sie im Schicksalsjahr 1968 persönlich traf, um die Band für seine Schülerzeitung zu interviewen! Nur eine von unzähligen spannenden Künstleranekdoten, die Mathur während seiner mehr als vier Dekaden umspannenden Vita erlebt hat, wie er lächelnd erzählt. „Sie waren im Aschram von Maharishi Mahesh Yogi zu einer spirituellen Fortbildung zu Gast“, erinnert sich Ajay. „Ich wollte damals Journalist werden und unternahm den eine Tagesreise mit Zug und Bus langen Trip in den Norden Indiens. Als ich irgendwann am Gate zum Grundstück ankam, waren dort hunderte Reporter aus aller Welt – doch nur mich ließ man als Einzigen durch zu Ringo und Co! Leider hat sich die Schulleitung später geweigert, mein Exklusivinterview
abzudrucken…“

Auch ohne Autoren-Credit eine buchstäblich lebensverändernde Begegnung für Ajay, die nach seiner Umsiedlung in die Schweiz schließlich im Jahr 1981 in Mathurs erstem Album mit seiner damaligen Formation Mainstreet mündete. In seiner neuen Wahlheimat konnte er schnell großen Erfolg in der europäischen Musikszene verbuchen und nahm in den 1980er- und `90er-Jahren vier Alben mit Mainstreet auf. Nach ihrer Auflösung nahm sich der Songwriter eine längere Auszeit von der Bühne, um sich anderen Projekten wie der Musik für Werbespots und Kurzfilme zu widmen. 2011 erschien sein viel beachtetes Solodebüt „A Matter Of Time“ als Independent-Künstler. Mit Ajays mittlerweile fünftem Longplayer „Talking Loud“ schließt sich nun nach knapp fünfeinhalb Jahrzehnten ein wichtiger Kreis für den extrovertierten Multiinstrumentalisten.

Die letztendliche Initialzündung zu den Aufnahmen von „Talking Loud“ gab der Song „Anytime At All (Aftermath Of Silence)“, den Ajay bereits Anfang der Eighties begonnen hatte: Genauer gesagt am 8. Dezember 1980; dem Tag, als John Lennon erschossen wurde. Über vierzig Jahre lang hat das Demo geduldig in dunklen Schubladen geschlummert und auf seine Erweckung gewartet, bis Ajay nun endlich die Kraft fand, den Track erstmalig offiziell einzuspielen. „Als ich damals von Lennons Tod erfuhr, brach für mich eine Welt zusammen“, blickt der Musiker heute noch sichtlich berührt zurück. „Dieses Stück zu schreiben, war für mich wie eine Art Rettungsanker. Zum ersten Mal konnte ich alles ausdrücken, was mich blockiert und zurückgehalten hat. Als während der Pandemie alles zum absoluten Stillstand kam und sämtliche Auftritte abgesagt wurden, habe ich wieder alte Platten von früher rausgekramt. Und plötzlich kam mir auch wieder dieser Song in den Sinn, für den mir bisher immer der Mut fehlte, ihn aufzunehmen. Doch diesmal schien die Zeit einfach reif zu sein. In diesem Moment begannen die Ideen zur neuen Platte buchstäblich aus mir herauszufließen.“ Nach seiner Auskopplung als erster Vorabsingle aus dem Album wurde „Anytime At All (Aftermath Of Silence)“ im Herbst letzten Jahres mit dem in Los Angeles vergebenen Akademia Music Award in der Kategorie „Best Pop Rock Song“ ausgezeichnet.

„Talking Loud“ wurde von Ajay Mathur in seinem Homestudio in der Nähe von Luzern eingespielt und produziert. Alle Stücke entstanden unter Mithilfe seiner langjährigen Co-Songwriterin Mary Lou von Wyl. Für die Produktion zeichnen gleich drei Grammy-Gewinner verantwortlich: Der US- Amerikaner Austin Asvanonda (The War On Drugs, The Rolling Stones) und der in London lebende Däne Philip Larsen (P!nk, Soft Cell, Erasure, Moby) haben die Songs abgemischt, während die New Yorker Grammy-Preisträgerin Emily Lazar (David Bowie, Lou Reed, Beck, Coldplay) für das Mastering sorgte. Musikalische Unterstützung erhielt Ajay von Perkussionist Fausto Medici, Bassist Richard Hugener und Gitarrist Christian Winiker. „Ich sehe mich lediglich als Medium, das die Musik kanalisiert“, so Mathur über seinen musikalischen Schöpfungsprozess. „Die Songs klopfen an meine Tür und sprechen zu mir. Ich lasse ihnen die Freiheit, zu wachsen und ein Eigenleben zu entwickeln. Bis sie irgendwann fertig sind und ich sie freilassen kann.

Sobald genug Lieder zusammen sind, denke ich darüber nach, sie zu einem Album zu bündeln.“ Alben, an deren Anfang immer ein konkretes Motiv steht, wie Ajay ergänzt. Im Falle von „Talking Loud“ die wichtigen Themen Selbstakzeptanz und Anerkennung. Kritische Selbstbespiegelung und Self-Empowerment in einem. „`Talking Loud` ist meine Metapher für Selbstbewusstsein und Selbstwert“, so Ajay. „Jeder Mensch ist etwas wert. Man ist völlig okay so, wie man ist. Ich will mich nicht verbiegen oder anpassen, nur um irgendwelchen Normen zu entsprechen. Weder musikalisch, noch menschlich. Auf dieser Platte geht es darum, mit sich im Reinen zu sein. Zu lernen, sich selbst auch in schwierigen Situationen auszuhalten, das eigene Ego über Bord zu werfen und nicht nur seine Stärken, sondern auch seine Schwächen zu akzeptieren. Auf dem letzten Album `Little Boat` habe ich mich sehr stark mit der Bewältigung meiner Vergangenheit beschäftigt. `Talking Loud` baut nun sehr positiv und hoffnungsvoll
darauf auf.“

Positives Denken, das Ajay Mathur in seinen Lyrics immer wieder mit oftmals sarkastischen bis zynischen Spitzen würzt. So wie mit dem Americana- und Country-inspirierten „Real“ oder der neuen Single „Deeper Than Your Skin“, das der Musiker als ein „Liebeslied an uns alle“ beschreibt. „Unbedachte Worte können manchmal hart treffen. Wichtig ist, dass wir uns immer unserer Individualität und unserer ganz persönlichen Schönheit bewusst sind. Unter unserer Oberfläche sind wir einzigartig; dort funkelt jeder von uns wie ein kleiner Diamant.“ Ein roter Faden, der sich in ähnlicher Form auch durch den berührenden Lovesong „I Need You Now“ zieht, der 2021 den 1. Platz in den World Independent Music Top 100 Airplay-Charts knackte, während die kraftvolle Rockballade „Stop The Shame“ kürzlich die
New Yorker The Artists Forum International Music Competition in der Kategorie „Indie/ Singer-Songwriter“ gewann.

„Nur zu unterhalten reicht mir nicht“, erklärt Ajay. „Ich will mit meiner Musik auch zum Nachdenken anregen und vielleicht sogar provozieren“, wie er mit dem augenzwinkernd-doppeldeutigen „I Don`t Want The Phone To Ring“ oder der eigensinnigen Rhythm & Blues-Nummer „Common Mistake“ demonstriert, auf der er eine Flowerpowergeschwängerte Farfisa-Orgel mit Original Schweizer Alpen-Jodlern kombiniert, bevor auf dem exzentrischen „Comedian“ Kammermusik mit Vocoder-Vocals zu einem faszinierend schrägen Barock-Popsong verschmelzen. Alles, nur kein Stillstand. Ein Motto, das sich auch auf dem funky Rockabilly-Track „Stuck On 75“ wiederfindet, der mit seinem High-Energy-Vibe vor dem inneren Auge Bilder von chromglänzenden US-Trucks und endlosen Highways entstehen lässt. „Es geht darum, irgendwie im Leben festzustecken und aus diesem ewigen Hamsterrad auszubrechen. Man rackert sich ab und kommt irgendwie doch nicht weiter.“ Eine Erkenntnis, der Ajay Mathur mit der nachdenklichen Ballade „Reasons To Cry“ am Ende des Albums schließlich einen eindringlichen Schlusspunkt entgegenstellt. Moderner Pop trifft auf indische Sitar-Klänge; eine liebgewonnene Tradition, der Ajay auch diesmal treu bleibt.

„Ich versuche, auf jeder meiner Platten mindestens ein Instrument aus meiner alten Heimat einzubauen. Es diesmal ans Ende zu setzen, war eine ganz bewusste Entscheidung. Dieser Track fasst die Botschaft von `Talking Loud` noch einmal zusammen: Es geht darum, über sich hinaus zu wachsen. Um die eigene Stärke und um Vergebung. Nur so kann man sich entwickeln und den nächsten Schritt auf seinem Weg machen.

Tracks
01. Sooner or Later (3:35)
02. Real (3:40)
03. Don’t Want the Phone to Ring (4:16)
04. Ain’t Going Nowhere (3:53)
05. Talking Loud (3:14)
06. Anytime at All (4:27)
07. Stop the Shame (3:38)
08. I Need You Now (3:17)
09. Deeper Than Your Skin (3:39)
10. Common Mistake (3:19)
11. Stuck on 75 (3:10)
12. Comedian (3:02)
13. Reasons to Cry (6:43)
14. Anytime at All (Aftermath of Silence) (4:22)
15. Talking Loud (Remix) (3:28)

Ajay Mathur „Talking Loud“
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