Gary Moore „Live From London“

Die Karriere von Gary Moore glich einer Zickzack-Linie voller Höhen und Tiefen. Dabei hat der Ire jedoch nie das Vertrauen in die Kraft der Livemusik verloren. Am 2. Dezember, 14 Monate vor seinem tragischen Tod im Alter von nur 58 Jahren, spielte der Gitarrist eine einmalige Show in der Londoner Islington Academy, die von Kritikern zu seinen besten gezählt wurde. Noch immer auf dem Höhepunkt seines Könnens, zeigte sich hier noch einmal der klassische Moore, der die Bühne seinen Lebensraum und seine Heimat nannte. Er durchforstete sein Repertoire so lange nach weiteren Schätzen, dass er schließlich sogar den Zapfenstreich der Halle brach, während ihn sein Publikum zu immer weiteren Songs anfeuerte.

2020 versetzt die Veröffentlichung von „Live From London“ seine Fans noch einmal direkt in die erste Reihe jenes Konzerts, das von den Funken von Moores Les Pauls nur so sprüht. So schließt sich der Vorhang für einen Mann, der für die Bühne lebte.

Doch die Saat für diesen letzten Auftritt in London wurde bereits vor über 50 Jahren im irischen Küstenstädten Holywood gestreut. Sein Vater, selbst Konzertveranstalter, nahm den jungen Gary jeden Samstag mit in die Clubs, um sich die Bands dort anzusehen. „Eines Abends fiel einer der Bassisten aus und ich ging auf die Bühne, ohne recht zu wissen was ich tat.“, erzählte er einst dem Magazin Q. Ich wusste nur, dass es Spaß machte und als ich sechs war, fragte mich mein Vater, ob ich singen wolle. Also stellte ich mich auf einen Stuhl, um überhaupt das Mikrofon zu erreichen. Seitdem war ich angefixt.“

Moore versuchte sich anschließend am Klavier – und hasste es. Das änderte sich, als ihm sein Vater eine 5-Pfund-Framus-Akustikgitarre mitbrachte, die fast so groß war, wie er selbst. Zunächst spielte er die Licks von The Shadows‘ „Wonderful Land“ und Joe Browns „A Picture Of You“ nach, bis er schließlich von George Harrison inspiriert wurde, dessen Stil auch noch in „Live From London“ zu hören ist.

Als er in die Pubertät kam, verfiel der Gitarrist hoffnungslos dem Blues und hörte hauptsächlich US-Giganten wie Paul Butterfield und das wegweisende „Beano“-Album von John Mayall aus dem Jahr 1966, zusammen mit Eric Clapton. „Ich war etwa 14 Jahre alt und hatte drei Jahre nichts anderes als die Songs von ‚The Shadows‘ und ‚The Beatles‘ gespielt. Doch diesmal klang meine Gitarre zum ersten Mal wirklich kraftvoll“, erzählte er dem Journalisten Ian Fortnam. „Ich habe die Gitarrenparts so oft gehört, doch diesmal spürte ich sie zum ersten Mal.“

Zur gleichen Zeit, in Belfasts angesagtem Club Rado, lernte er eine erste Lektion über den emotionalen Effekt des Live-Blues durch Peter Green (der Fleetwood Mac-Sänger schenkte Moore später eine ’59 Gibson Les Paul, die seine Liebe zu diesem speziellen Modell begründen und seine ganze Karriere überdauern sollte). „Peter kam, steckte das Kabel in seinen Amp und spielte das erste Lick von „All Your Love“. Er brauchte alle mit seinem unglaublichen Sound zum Schweigen.“, sagte er damals zu David Mead. „Noch nie hatte mich ein Ton so tief berührt. Ich war hin und weg, was er aus seiner Gitarre herausholte und wie er sie zum Klingen brachte.“

Moores erste semi-professionelle Schritte begannen bei den Beat Boys: talentierte Youngster, die bei Talentshows in ganz Belfast Coverversionen spielten und für jeden Sieg einen Fünfer bekamen. Lukrativer waren da schon Skid Row aus Dublin, deren Cover von US-Westküsten-Bands wie “The Byrds” den jungen Gitarristen kalt ließen, aber deren wöchentliches Gehalt von 15 Pfund einen Fluchtweg aus Belfast boten. Außerdem war er freundschaftlich mit Frontmann Phil Lynott verbunden: “Phil war ein großer, dünner, cooler Schwarzer”, erinnerte sich Moore. “Damals gab es in Dublin nicht viele Schwarze und er stach hervor wie ein bunter Hund.”

Lynott wurde bald gefeuert, doch dieser erinnerte sich an seinen alten Wingman, als seine neue Band Thin Lizzy Ersatz brauchte. Es war ein Gig, bei dem Moore die Rolle des Gitarrenhero voll und ganz verinnerlichte. („Ich habe die Hälfte der Zeit auf der Bühne auf den Knien oder auf dem Rücken verbracht, wurde fast verrückt und spielte so schnell wie ich nur konnte.“). Doch trotz aller Bewunderung fürchtete Moore, dass Lizzy seine selbstzerstörerische Phase nähren könnte und verließ die Band, um sich Jone Hisemans virtuoser Jazz-Fusion-Combo „Colosseum II“ anzuschließen. Für den Rockmusiker waren die Auftritte musikalisch so anspruchsvoll, dass er nach den Shows im Backstagebereich fast zusammenbrach. Doch wie immer war Leidenschaft seine Priorität. „Ich bin bei Colosseum ein wenig mit Tonleitern in Kontakt gekommen“, sagte er zu Guitar World, „Doch es fühlte es sich wie Zeitverschwendung an, da ich auf der Bühne nichts davon spielen konnte. Ich bin da draußen, um ein spannendes Gitarrenspiel zu präsentieren, das ist alles, was ich tun will.“

Neben Colosseum II entwickelte sich Ende der 70er Jahre eine Art symbiotische Beziehung mit Thin Lizzy. Moore sprang für den verletzten Brian Robertson ein und nahm die Klassiker „Still In Love With You“, „Waiting For An Alibi“ und „Do Anything You Want To“ auf. Als Gegenleistung spielte und schrieb Lynott Songs auf Moores Alben mit, als dessen Solokarriere mit dem 1978 erschienenem Album „Back On The Streets“ mit der erfolgreichen Single „Parisienne Walkways“, die ebenfalls auf Live From London zu hören ist, Fahrt aufnahm. Ebenso ist er auf dem 1985 erschienenem „Run For Cover“ mit der Single „Out In The Fields“ zu hören..

Moores Ruf als schneller Revolverheld war bereits in Stein gemeißelt. Doch als sich die 80er Jahre dem Ende zuneigten, fühlte er sich zunehmend unwohl in seiner Haut, angewidert von dem Heavy-Rocker-Image, das sein Management ihm auf den Leib geschneidert hatte. Er fürchtete sich davor, künftig „mit Face-Liftings und blond gefärbten Haaren in Hollywood“ zu enden, damit er überhaupt auf seinem eigenen Albumcover abgebildet werden würde.
Schließlich wurde ihm bewusst, dass er jedes Mal, wenn er in seiner Umkleide eine Gitarre in die Hand nahm, sofort ein zeitloses Lick aus dem Mississippi-Delta spielte. So wurde Moore der Weg, der vor ihm lag, plötzlich völlig klar. 1990 veröffentlichte er „Still Got The Bues“, sein millionenfach verkauftes Comeback-Album und seine Wiedergeburt als authentischer Bluesman. Die Zusammenarbeit mit Albert King, Albert Collins und Harrison selbst verliehen dem Werk zusätzliche Glaubwürdigkeit.

„Ich habe wollte nicht den glatt produzierten, sauberen amerikanischen Gitarrensound von Robert Cray kopieren.“, sagte Moore zu Q. „Ich wollte etwas Raueres und ich glaube, ich war erfolgreich. Es war wie ein Neuanfang, das Beste, was ich hätte tun können. “

Auch Lizzy-Schlagzeuger Brian Downey – der auch bei „Still Got The Blues“ mitspielte – erzählte dem Journalisten Mick Wall später: „Ich wusste, dass dies sein Meisterwerk werden würde und dass er einige gute Songs aufgenommen hatte. Aber als er sie mir vorspielte, war ich total platt. Es waren großartige, authentische Blues-Songs. Es machte mich ein bisschen nervös. Ich hatte nicht mit so etwas qualitativ Hochwertigem gerechnet.“

Das Material von Still Got The Blues wurde zum Eckpfeiler von Moores Shows – und verschwand nie von der Setlist. Im Dezember 2009, als Massen von Fans in die Islington Academy zu der Show strömte, die später einmal „Live From London“ werden sollte, waren die Klassiker dieses Albums den ganzen Abend über zu hören: Albert Kings „Oh Pretty Woman“, das raue „Walking By Myself“ und die traurige Melodie des Titeltracks. Natürlich auch „Parisienne Walkways“, dem #8 Hit des Gitarristen, dass bei dem Konzert noch jünger und erfrischender als auf dem Original wirkte. „Ich kann eigentlich nicht von der Bühne gehen, ohne diesen Song zu spielen“, sagte der Gitarrist einmal über diesen Fan-Favoriten.

„Es ist eine ziemlich lange Version, denn ich mag es, Dinge in die Länge zu ziehen. Wir wären doch keine Gitarristen, wenn wir nicht mehr aus einem Song herausholen könnten.“

Zwischen dem ersten Song und der letzten Zugabe ließ Moore einige der Schlüsselmomente seiner Karriere Revue passieren. Von seinem letzten Studioalbum aus dem Jahr 2008er stammt der energiegeladene Titeltrack „Bad For You Baby“, der Country-Blues „Down The Line“ und das emotionale „I Love You More Than You’ll Ever Know” von Donny Hathaway. Weiter ist die Gitarren-Hookline von Otis Rushs „All Your Love“ und eine emotionale Lesung von John Mayalls „Have You Heard zu hören -beide Songs hatte Moore als Jugendlicher Gitarrist zuerst auf „Beano“ gehört.

Kein Wunder also, dass die Leidenschaft des Iren in dieser Nacht in London zum Greifen nahe spürbar war. „Auf diese Weise hat er einen ganz bestimmten Gitarrensound erzeugt“, meint Jon Norman, der das Konzert für den Radiosender Planet Rock organisiert hatte. „Andere haben es versucht, aber nicht geschafft. Es war einfach faszinierend, was er mit dieser Les Paul gemacht hat. Er hat an diesem Abend sogar den Curfew der Halle überzogen – es fühlte sich so an, als wollte er nie aufhören zu spielen. “

Umso ergreifender ist es, dass Moore nach etwas mehr als einem Jahr später verstarb und seine schreiend-heiße Les Paul für immer verstummt ist. Er hat ein großes Loch in der Blues-Community hinterlassen, und obwohl die Szene seitdem eine ganze Schar neuer Meistergitarristen begrüßt hat, ist der Tod des Iren immer noch deutlich zu spüren. „Live From London“ ist das letzte Puzzleteil des Genies, einer der besten Performer seiner Generation, der ein letztes Mal daran erinnert, warum er auf diesem Planeten geboren wurde. Wie Jon Norman sagt: „Was kann man mehr von einer Live-Show verlangen …?“

Tracks
1. Oh, Pretty Woman
2. Bad For You Baby
3. Down The Line
4. Since I Met You Baby
5. Have You Heard
6. All Your Love
7. Mojo Boogie
8. I Love You More Than You’ll Ever Know
9. Too Tired / Gary’s Blues 1
10. Still Got The Blues
11. Walking By Myself
12. The Blues Is Alright
13. Parisienne Walkways

Gary Moore „Live From London“
Mascot Label Group