Charly Klauser „Mehr“

Mit ihrem jetzt erscheinenden Debütalbum liefert Charly Klauser ihr – im Grunde nicht mehr benötigtes – Reifezeugnis als vollausgelastete und schwer gefragte Profimusikerin ab. Und es ist ein SOLO-Album, das diesen Begriff in jeder Bedeutung des Wortes vollauf verdient und mit spannendem Leben füllt.

Charlys unbändige Passion sich immerzu kopfüber in neue Herausforderungen zu stürzen, hielt sie in den vergangenen Jahren im positiven Sinne davon ab ihrer eigenen kreativen Stimme zu folgen. Die Anfragen prominenter Kollegen, mit oder für sie zu spielen, reißen nicht ab, im Gegenteil.

Ob als Schlagzeugerin für Alvaro Soler oder in der TV-Show von Carolin Kebekus, ob als Gitarristin, Percussionistin, Sängerin und Violinistin für Sasha, Tim Bendzko oder die Metal-Haudegen Rage, ob im Duett mit Johannes Oerding: Schon lange gilt Charly in der deutschen Musikszene als enorm verlässliche, begeisterungsfähige und vielseitig talentierte Musikerin, die sich in bald jeden Sound und jedes Genre mit Energie und Selbstverständlichkeit einfindet. Wohl nicht ohne Grund rekrutierten sie Die Ärzte vergangenes Jahr als Hauptdarstellerin „Charlotte Kraft“ für ihr Video „Kraft“: Da wurde ein Name zum Programm.

Entdeckt und gefördert für ihre Position als „Charly Dampf in allen Bandgassen“ hat sie vor über einem Jahrzehnt Peter Maffay, mit dem sie bis heute eng zusammenarbeitet: Mal als Sängerin und Schauspielerin bei „Tabaluga“, mal als festes Mitglied seines Live-Ensembles, mal als Songwriterin für seine eigenen Platten; so stammt etwa der Maffay-Hit „Für immer jung“ aus ihrer Feder. „Jegliche Zusammenarbeit mit Menschen, die wissen wohin sie wollen, empfinde ich als bereichernd und inspirierend! Die Zusammenarbeit mit Peter Maffay ist dabei immer eine ganz besondere, wir haben einfach die gleiche Einstellung zu Musik und der nötigen Disziplin.“

Dass sie neben all diesen Engagements überhaupt noch Zeit für ein eigenes Projekt findet, ist dabei überraschend genug. Doch schon in jungen Jahren zeichnet sich ihre schier grenzenlose Vielseitigkeit und Qualität ab: Als Tochter einer aus Kasachstan zugezogenen Musiker-Familie erhält Charly ab ihrem zweiten Lebensjahr Klavier- und Geigenunterricht. Mit zweieinhalb steht sie das erste Mal auf der Bühne – in der ersten Reihe eines Geigenorchesters. Im Grundschulter-Alter gewinnt sie Wettbewerbe und komponiert für Streichquartette und die Kölner Kinderoper. So war die Unterstützung ihrer Eltern, die beide als Jung-Studenten in der kasachischen Hauptstadt Almaty Musik studierten, Charly auch dann sicher, als sie mit ihrer älteren Schwester mit 11 Jahren eine Rockband gründet.

Mit der All-Girl-Rock-Formation The Black Sheep bekommt Charly noch vor dem Schulabschluss einen Plattenvertrag und geht als Support mit Legenden wie In Extremo, Sunrise Avenue und Social Distortion auf Tour. Zeitgleich – wohlgemerkt als Teenager – gründet sie mit Cold Fusion ein Jazz-Duo, gewinnt gleich mal den „WDR Jazzpreis“ und produziert ein Album im Studio des Deutschlandfunks.

Doch ihre Fähigkeiten reichen noch weiter: Wenn sie Musik für Werbespots von VOX oder Ford komponiert, wird sie sogleich als Gesicht der gesamten Kampagne engagiert. Wenn sie die Sound-Design-Firma Ohrenkunst lanciert, produziert sie kurzerhand im Auftrag einer New Yorker Design-Agentur Sounds für Top-Unternehmen wie Bentley, H.B.O. oder Google und präsentiert diese – im Falle von Google – mal eben auf dem größten Screen der Welt auf dem Times Square.

Kurzum: Es gibt eigentlich nichts, was nicht geht – solange es Charly als Künstlerin herausfordert und neue Möglichkeiten der Entfaltung bietet. Nicht ohne Grund schrieb sie kürzlich auf ihrem Instagram-Profil: „Dinge zu riskieren und einfach zu machen, fühlt sich saugut an. Auf ein Zeichen zu warten, um Träume oder verrückte Dinge umzusetzen, ist vertane Zeit. Man wird dann belohnt, wenn man tut, was das Herz einem leise aber doch deutlich mitteilt.“

Im Prinzip könnte diese Vorstellung hier enden, denn es gab schon jetzt mehr zu erzählen als über viele andere deutsche Musiker, und es dürfte klar sein, dass sich hinter Charly eine – im besten Sinne – geradezu besessene Musikerin verbirgt. Diese spezielle energetische Melange hat Charly nach zahllosen Jahren intensiver Arbeit nun endlich auf ihrem Soloalbum bündeln können. Und „solo“ ist hier bitte genauso zu verstehen.

Entstanden sind 10 kraftvoll eigene und oft unkonventionell komponierte Songs. Weit entfernt von typischem Formatradio-Bubblegum-Pop, sind sie trotzdem griffig genug, um jederzeit im Radio zu laufen. Sie wechseln mit Leichtigkeit zwischen Ohrwurm-Melodien und einer experimentellen, fast naiven Spiellust.

Letzteres ist mit Sicherheit dadurch begründet, dass Charly für die Aufnahmen SÄMTLICHE Instrumente selber eingespielt hat. Und sie hat neben der Komposition der Songs gleich noch die Produktion und den Mix erledigt.

„Ich schätze all die Kollaborationen, die ich bereits erleben durfte, sehr“, sagt Charly. „Aber irgendwie wurde mir immer klarer: Wenn ich mal ein Soloalbum aufnehme, dann muss und will ich das komplett alleine machen, von der ersten Note bis zur letzten Tonspur.“

Der schmale Grat zwischen Hittauglichkeit und künstlerischem Anspruch, den Charly mit diesen Songs beschreitet, ist dabei vorsätzlich gewählt: „Das Album soll mich und meine Persönlichkeit völlig unverfälscht widerspiegeln. Gut produzierte Musik gibt es auf der Welt genug. Was ich dazu beitragen kann ist Musik, die so aus mir herauskommt und genau so klingt, wie mein Kinderzimmer früher aussah: bunt und voller liebevoller Details.“

Charlys Texte handeln von persönlichen Gedanken, über die Vergangenheit und die Zukunft. Sie singt von eigenen Erlebnissen, verpackt in Reisen durch Raum und Zeit und auf der Suche nach Antworten. „Mir gefällt der Gedanke, dass man beim Hören meiner Songs Lust bekommt, sich intensiver mit ihnen auseinanderzusetzen. Dass man sich verstanden fühlt, oder ertappt, oder auch ermutigt. Ich liebe es von der Bühne aus zustimmendes Nicken zu beobachten, ein Schmunzeln oder sogar ein Tränchen.“ Das merkt man auch daran, dass sich Charly hier erstmals getraut hat, ihre eigenen Kompositionen mit deutschen Texten zu versehen. Denn auch, wenn ihre Musik so viel mehr ist als ein potenzieller Beitrag für die nächste „Chart Hits“-Compilation, möchte sie gerne vom Hörer verstanden und in ihrer Vielschichtigkeit geschätzt werden.

Die Vorab-Single „Tür auf, Tür zu“ ist dafür so ein Beispiel: Ein Song über das Fällen schwerer Entscheidungen und dem Gewinn, der daraus entstehen kann, über das Schließen von Türen, damit sich andere, neue Horizonte öffnen, über Mut und Überwindung.

„Im Überall“, eine weitere, bereits veröffentlichte Vorab-Single, ist eine Selbstbetrachtung der inneren Disparität zwischen Fern- und Heimweh, zwischen Großtaten und dem Schätzen der Schönheit im Kleinen, zwischen dem Streifen durch die Rocky Mountains und der Umarmung zu Hause.

In „Zuhaus“ kämpft Charly mit ihrer inneren Unruhe und Rastlosigkeit und eröffnet einen tiefen Blick in ihre Familiengeschichte zwischen Vertreibung und Neubeginn, verpackt in einen groovenden Akustik-Pop-Song.

Die intime Klavier-Ballade „Was in aller Welt“ ist neben ihrer berührenden Gesangperformance ein höchst gesellschaftskritischer Song, jedoch ohne erhobenen Zeigefinger. „Hör ich zu?“ fragt sich Charly und zeigt damit sowohl musikalisch wie auch textlich eine weitere der vielen unterschiedlichen Facetten ihrer Persönlichkeit.

Tracks
1. Wenn wir wüssten
2. Tür auf, Tür zu
3. Mehr
4. Alles macht dann Sinn
5. Was in aller Welt
6. 100 Jahre
7. Ich muss gar nichts
8. Anderer Tag
9. Im Überall
10. Zuhaus
Bonus Tracks
11. Im Überall – Live (Orchester Version)
12. Mehr (Akustik Version)
13. Zuhaus (Akustik Version)

Charly Klauser „Mehr“
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