Walter Trout „Broken“

Wir alle sind gebrochen (Broken). Aber niemand ist unheilbar. Nach dieser Philosophie hat Walter Trout sieben Jahrzehnte lang im Herzen der amerikanischen Gesellschaft und der Blues-Rock-Szene gelebt. Selbst jetzt, wo die Welt durch Politik, Wirtschaft, soziale Medien und Kriege zerrissener denn je ist, beschreibt der berühmte US-Blueser auf seinem neuesten Album „Broken“ die bitteren Brüche des modernen Lebens, weigert sich aber, ihnen zu erliegen.

„Ich habe immer versucht, positive Songs zu schreiben, und dieses Album ist nicht ganz so positiv“, meint der 72-Jährige zu seinen neuen Stücken, die sowohl wütend als auch besänftigend sind. „Aber ich halte immer an der Hoffnung fest. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich dieses Album geschrieben habe.“

Wie steinig sein Weg im letzten halben Jahrhundert auch gewesen sein mag, die Hoffnung hat ihn nie verlassen. Die Eckdaten von Trouts unglaublicher Geschichte sind bekannt: die traumatische Kindheit in Ocean City, New Jersey; der kühne Umzug an die Westküste im Jahr ’74; die vielversprechenden, aber chaotischen Sideman-Shifts mit John Lee Hooker und Big Mama Thornton; die Drogensüchte, die ihn nicht stoppen konnten, der Einstieg bei Canned Heat in den frühen 80ern.

Mancher ist heute noch der Meinung, das sein Gitarrenspiel Mitte der 80er Jahre in der Besetzung von John Mayalls legendären Bluesbreakers als Höhepunkt seiner Karriere gilt. Aber für die weitaus meisten Fans ist das Blut, das Herz und die Seele seiner Solokarriere seit 1989 das was sie an Walter Trout so sehr schätzen. Die Songkunst des Bluesman, die immer nach einer größeren Wahrheit strebt, immer vorwärts drängt und vor keinem Thema zurückschreckt.

Diese unvergleichliche kreative Ader wird durch die regelmäßigen Triumphe des Gitarristen bei Preisverleihungen wie den Blues Music Awards, den SENA European Guitar Awards, den British Blues Awards und den Blues Blast Music Awards unterstrichen. Der kultige britische DJ „Whispering“ Bob Harris sprach für Millionen, als er Trout in seiner Autobiografie „The Whispering Years“ von 2001 zum „größten Rockgitarristen der Welt“ erklärte.

Walter Trout hat mittlerweile so viel erreicht, das er die Zeit anhalten und sich an den vergangenen Erfolgen laben und die Polemik und die Aufrufe zu den Waffen einer jüngeren Generation überlassen könnte. Aber das wäre nicht in seinem Sinne, meint der immer noch hungrige Veteran. „Ich muss wachsen. Ich möchte ein lebendiger Künstler sein, der seinen Beitrag leistet. Ich will nicht jeden Abend auf die Bühne gehen und meinen ersten Hit ‚Life In The Jungle‘ spielen. Ich fühle mich jung. Ich weiß, dass ich es nicht bin. Aber in meinem Kopf bin ich immer noch 25, will immer noch besser werden und etwas tun, was ich noch nicht getan habe. Und ich habe immer noch das Bedürfnis mich mitzuteilen.“

Als die Pandemie vorbei war, ging Trout wieder zur Tagesordnung über: Der karrierebegleitende Zyklus aus Schreiben, Touren und Ausruhen war für ihn so selbstverständlich wie das Atmen. Doch kaum waren die Nadeln der Plattenspieler auf der Welt auf sein neuestes Album ‚Ride‘ aus dem Jahr 2022 gefallen, spürte Trout das erste Kribbeln einer neuen Inspiration. Abwechselnd zu Hause in dem abgelegenen dänischen Fischerdorf Vorupør und in Huntington Beach, Kalifornien – oder manchmal sogar auf dem Rücksitz des Tourbusses, nach dem nächtlichen Gig – verlangten die zwölf Songs von Broken danach, geschrieben zu werden.

„Oft setze ich Kopfhörer auf, höre Musik, die mich emotional berührt, und fange dann einfach an, Texte zu schreiben“, erklärt Trout einen Prozess, der ihn immer noch fasziniert. „Ich denke, diese Songs sind so ehrlich, wie ich nur sein kann. Die Band kam zu mir nach Hause, um zu proben, so dass wir anschließend einfach ins Studio gehen konnten um das Album einzuspielen.“

Das Kingsize Soundlab in L.A wurde erneut als Studio ausgewählt – ein vertrauter Ort für die Walter Trout Band, wo auch das 2019er Album Survivor Blues entstand – und Produzent Eric Corne war wieder einmal der Mann hinter den Regelern. „Das ist unser 15. gemeinsames Album“, rechnet der Blueser vor. „Eric und ich haben einfach eine bestimmte Art zu arbeiten. Ein Freund, der ins Studio kam und uns beobachtete, sagte: ‚Mann, ihr seid wie eine Maschine‘. Wir verstehen uns wortlos.“

Ganz neue Kollaborateure haben sich Trout zum ersten Mal angeschlossen. „Ich dachte, meine Freundin Beth Hart könnte sich mit dem Titelsong Broken identifizieren“, sagt er über die Ausnahmesängerin. „Bei diesem Song habe ich auf die Welt geblickt – vor allem auf das, was in den Vereinigten Staaten vor sich geht – aber ich habe auch darüber nachgedacht, wie ich mich von den Dingen, die mir passiert sind, erholt habe. Ich hatte die erste Strophe – ‚Pieces of me seem to break away/I lose a little more every day‘. Aber es war fast zu viel für mich, wieder in diese Scheiße zu geraten. Also half mir meine Frau Marie bei den Texten. Das Gitarrensolo ist vielleicht mein Lieblingsstück auf der Platte. Ich habe es mit der Band eingespielt, in einem Take.“

Eine weitere Reihe von Stargästen lieferte Treibstoff für zwei der rockigsten Stücke des Albums, ‚I’ve Had Enough‘ und ‚Bleed‘. „Dee Snider von Twisted Sister stellte einen Live-Mitschnitt von mir auf seinen Twitter-Account und sagte: ‚Hör dir diesen verdammten Gitarrenhelden an‘. Wir kamen ins Gespräch, wurden Freunde, er kam ins Studio und ich wusste, dass ich ihm einen Song schreiben musste. Also dachte ich: ‚Nun, er hat ‚We’re Not Gonna Take It‘ gemacht‘. Also schrieb ich ‚I’ve Had Enough‘. Und der rockt, und zwar gewaltig. ‚Bleed‘ entstand, als wir so gut wie fertig waren. Mein Schlagzeuger Michael Leasure sagte zu mir: ‚Hey Walter, du hast mit John Lee Hooker und Canned Heat gespielt, das ist dein 31. Album und du hast noch nie einen Boogie gespielt. Was soll das?‘ Also sagte ich: ‚Okay, scheiß drauf, lass uns einen Boogie spielen‘. Ich kann zwar irgendwie Mundharmonika spielen, aber ich dachte: ‚Lass uns das Ding aufpeppen‘. Es gibt einen jungen Mundharmonikaspieler mit dem Namen Will Wilde aus England, der beste Harpspieler den ich je gehört habe. Er hat die Seele und die Kraft von Paul Butterfield, aber er verbindet das mit einer blendenden, virtuosen Technik.“

An anderer Stelle entdeckte Trout in einem Anflug von Telepathie, dass die Zeile, die er als Platzhaltertext für den Cowboy-Blues von ‚Turn And Walk Away‘ sang, bereits von seiner Frau Marie geschrieben worden war („Ich habe eine Kiste mit Songtexten, und ich finde dieses Stück Papier, in der Handschrift meiner Frau, von vor zwanzig Jahren, und die erste Zeile lautet: ‚It never occurred to me that you would ever set me free‘. Das passte perfekt zu dem Lied“). Für die Bluesmelodie ‚Courage In The Dark‘ hat Trout nicht mehr als zehn Minuten gebraucht. „Ich habe im Tourbus ein Gedichtbuch gelesen, und die Zeile lautete ungefähr so: ‚In einer Welt der Dunkelheit ist es eine Notwendigkeit, dass du deinen Mut behältst‘.“

Für das wehmütige ‚Talkin‘ To Myself‘ ließ sich Trout von den Hits inspirieren, die in seiner Jugend aus dem AM-Radio dröhnten, gepaart mit einem Text über seine Angewohnheit, unterwegs den Hotelfernseher anzuschreien, und einem höchst erfolgreichen ersten Versuch, eine alte elektrische Sitar zu spielen. „Ich wollte das man das Gefühl hat im Jahr 1966 mit dem Auto unterwegs zusein und im Radio laufen Paul Revere and the Raiders“.

Aber auf ‚No Magic (in the street)‘ erkennt er den Lauf der Zeit an. „Ich lebe seit 50 Jahren hier in Huntington Beach. Jahrzehntelang kannte ich jeden auf der Main Street: ‚Hey Walter, was ist los?‘ Aber als ich kürzlich dort entlang spazierte, stellte ich fest, dass es eine neue Generation gibt, mit ihrer eigenen Steinbeck’schen Gesellschaft, und ich fühlte mich wie ein Anachronismus. Wenn ich also sage, dass es jetzt keine Magie mehr auf den Straßen gibt, dann gilt das nur für mich.“

Für das zarte Instrumental ‚Love Of My Life‘ waren keine Worte nötig („Natürlich geht es um Marie“), während die Muse des Bluesman aus drei Jahrzehnten auch die hauchzarte Ballade ‚I Wanna Stay‘ inspirierte („Ich flüstere diesen Song – er soll so leise und sanft wie möglich sein. Es geht um das erste Mal, dass ich mit meiner Frau geschlafen habe“). Der fröhliche Soul von ‚Breathe‘ wurde von Keyboarder Richard T. Bear geschrieben und von Trout mit einer Anspielung auf das herzzerreißende Debris von The Faces neu interpretiert. „Ich habe dem Bassisten Jamie Hunting gesagt: ‚Ich möchte, dass du hier wie Ronnie Lane spielst‘. Und zu Skip Edwards, dem Pianisten, sagte ich: ‚Ich will Ian McLagan‘. And they nailed it.“

Dann kommt ein Joker in Form des spacigen Spoken-Word-Punk-Blues ‚Heaven Or Hell‘. „Ich habe einen alten blinden Mann auf der Straße getroffen“, erklärt Trout. „Ich gab ihm etwas Geld damit er sich etwas zu essen kaufen kann, er begann zu predigen, und ich ging zurück in mein Zimmer und schrieb ein Gedicht über das, was er sagte. Ich konnte es nicht singen, ich konnte es nicht in Musik umsetzen, also beschloss ich es einfach zu sprechen.“

Für den größten Teil des neuen Albums griff Trout zu seiner kampferprobten Fender Stratocaster oder seinem Delaney-Signaturmodell, das er an seinen bewährten Mesa/Boogie MkIV-Bühnenverstärker anschloss (ohne Pedale). Aber für das abschließende ‚Falls Apart‘ ging er an die klanglichen Grenzen. „Jeder, der denkt, dass ich nur ein Blues-Typ bin, den werde ich mit meiner Version des Pink Floyd Sounds eines besseren belehren“, lacht er. „Das Outro hat drei verschiedene E-Gitarren-Rhythmen und zwei akustische Gitarren-Rhythmen in verschiedenen Umkehrungen. Dann gibt es noch eine Nashville-gestimmte Gitarre. Unser mittleres Kind Biscuit, alias Captain Buzzface, hat den Song geschrieben, arrangiert und den gesamten Hintergrundgesang eingesungen. Ich denke, dass der Junge einen epischen Song geschrieben hat, der sehr gut zum heutigen Zustand der Welt passt. Es fällt mir schwer, das Stück durchzuhören, ohne zusammenzubrechen.“

Mit Galgenhumor stellt Trout fest, dass sein neues Album mit einem Stück namens Broken beginnt und mit einem Stück namens Falls Apart endet. Er kann die sozio-politische Stimmung, die in der Luft liegt, nicht leugnen, und so liegen zwischen diesen beiden Buchstützen einige der persönlichsten Songs seiner Karriere (wenn auch gepaart mit einer seiner rockigsten und trotzigsten Gitarrenarbeit). Doch wie der Mann sagt: Solange es Liebe und Musik gibt, gibt es immer ein Licht, das uns leitet. „Der Idealismus der Sechzigerjahre brennt immer noch in mir, und ich möchte Musik machen, die etwas bedeutet oder jemandem hilft. Ich bin vielleicht naiv, aber das ist in Ordnung. Angesichts dessen, was in der Welt passiert, werde ich hartnäckig an meinem Idealismus und meiner Hoffnung festhalten. Ich möchte Musik machen, die etwas bedeutet…“

Tracks
1 Broken – feat. Beth Hart
2 Turn And Walk Away
3 Courage In The Dark
4 Bleed – feat Will Wilde
5 Talkin‘ To Myself
6 No Magic (On The Street)
7 I’ve Had Enough – feat Dee Snider
8 Love Of My Life
9 Breathe
10 Heaven Or Hell
11 I Wanna Stay
12 Falls Apart

Walter Trout „Broken“
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